Nach den Ereignissen der Loslösung von Tha'Risha, die die Bande zu fast allen alten Vertrauten gelöst hatte, machte Cyrgaya sich auf eine weitere Reise. Sie verließ Sel Tac'Zil für eine Weile - da war ein Ruf, fast wie ein Zwang, der sie an einen Punkt auf einem Hochplateau trieb, dort, wo die Schleier der Zeit den Wechsel zwischen den Welten möglich machten. Hier war es gewesen, wo sie vor Jahren einmal wieder den Fuß in ihre Heimatwelt, die 'Drekiheymur' genannt wurde, hatte setzen können.
Die Schleier waren dünn in diesen Tagen. Damals hatte sie dazu beigetragen, dass auf dem Fest der Drachen in der zweiten Drachenwelt der Graue Bruder, der Älteste, hatte zurückkehren können... Nachdenklich ging sie langsam an der Felskante des Hochplateaus entlang. Der Wind strich ihr durch die braunen Haare mit den weißen Strähnen - und wären nicht die graugoldenen Schuppen in ihrem Gesicht gewesen, und die noch immer wie frisch wirkende, tiefe Schwerthiebwunde auf ihrer Stirn, man hätte sie einfach für eine alte Frau halten können. Cyrgaya zog den goldbraunen Mantel mit dem Kaninchenfell enger um sich. Der Wind war schneidend und kalt, und langsam legte sich Schnee auf das Land. Am höchsten Punkt blieb sie stehen. Hier an dieser Stelle tobten sonst die Schlachten um die Banner...
Der fliehende Wind hob an sich zum Sturm zu heben, schien im letzten Augenblick den Plan zu ändern und nahm den Schwung den er beim Schlag nach oben gewonnen hatte für einen schlag in eine Schneewehe mit dem er das pulvrige Weiß aufwarf.
Der Schnee, der sich wie alter Staub von einer frischen Briese mitgerissen, dem Schicksal in den Händen des kalten Windes hingabschien sich zu verdichten, als er den Wirbeln des Firnodems gehorsam folgte um sich in einer Windhose aus hellem weiß zu verdichten, um so letztendlich einer gestalt in gräulich schimmernder Robe und mit akademischer bleiche im Gesicht platz zu machen.
Die Gestalt hob den Kopf und sah Cyrgaya aus stumpfen braunen augen an, musterten ihre Erscheinung um Schlussendlich in ihren Augen zu ruhen.
Das Pfeifen des Windes drang an Cyrgaya´s Ohr, doch dann wurde aus dem schneidenden Ton der nordischen Kälte das flüstern einer schwachen Stimme, gleich der eines Greises: "Cyrgaya...sag mir was ich bin..."
"Ältester!" Sie neigte das Haupt und beugte das Knie vor ihm, der der Erste unter den Alten war, vor ihm, der für Wissen und Weisheit stand.
Lange war es her, dass sie vertrieben worden war - und dass man ihr den Zugang zur Heimatwelt der Drachen verwehrt hatte, weil sie ein Wechsler war, weil ihr Karfunkel ein Gelber und kein Roter war. Sie hatten sie immer in die ersten Reihen gegen das Dunkel geschickt, doch sie hatte alle Aufträge überlebt... und ihren Verurteilern nicht den Gefallen getan, zu sterben oder niedergemacht zu werden.
"Vater der Zeit und Hüter des Wissens. Bist Du gekommen, um über mich zu richten?" fragte sie den alten Drachen, der da in ebenso menschlicher Gestalt wie sie selbst vor ihr stand.
Der Blick des Ältesten ruhte sanft auf Ihr. Der Wind spielte mit seiner mausgrauen Robe und der einsetztende Schneefall verlieh dem Hüter des Wissens eine statuenhafte Erscheinung. Allein der Stoff der schweren Gewandung gab regung an seinem Leib.
Noch immer kniete die Alte vor dem Grauen im Schnee.
"Über die Jahrtausende meines Lebens mag sie ob ihrer Größe nicht mehr nennbar sein, Ältester. Doch meine größte Schuld ist und war, dass ich das Leben unter den schnell sterblichen Wesen suchte."
Eine Bö wehte ihren Mantel auf und gab den Blick auf ein schmal geschnittenes, graubraunes Wams und den Rockschoß aus Goldbrokat frei - Überreste ihrer früheren Gestalt. So wurden auch die beiden Schwertgriffe über ihren Schultern sichtbar, die dereinst ihre Schwingen gewesen sein mochten.
"Ich bin eine Wandlerin, Ältester, und der größte Schatz unserer Wesenheiten veränderte Lage und Farbe, so dass es immer und für Alle sichtbar wurde, was ich in meinem Eifer tat. Man schickte mich in die großen Schlachten gegen das Übel, dass in die Welt kam, und eben jenes manifestierte Böse schloss mich schlussendlich von der Heimatwelt aus - ganz so wie die Richter es schon immer angestrebt hatten." Ein wenig Bitterkeit klang jetzt in ihrer ruhigen Stimme mit. Noch nie hatte sie je einem der schnell Sterblichen diese Dinge erzählt. "Ich entronn dem Bösen vor sechs Jahren in der Zeitrechnung dieser Welt nur knapp. Seit dem ist mir auch das Letzte genommen." Sie sprach jetzt deutlich leiser. "Ich kann diese Gestalt nicht mehr verändern. Der Zugriff auf meine magischen Fertigkeiten ist mir genommen..." Sie schluckte und schwieg. Diese Strafe war so groß - aber sie musste leben.
Der Älteste schien in sich zu Ruhen. Die Last der Jahre waren auch ihm anzusehen, trotz dem Irrspiel welches man seinem erscheinen unterstellen wollte. Er stand weder gebeugt noch stolz, noch in irgendeiner form undiszipliniert da oder so wie man es eigentlich von jenen Sterblichen erwarten würde. Er war einfach. Der Stärker werdende Schneefall schien den neu gewonnen wiederstand zu ignorieren, machte er doch keine Anstalten auf den Schultern des Ältesten zu Ruhen. Sein ganzes Auftreten, allein die Tatsache der vollkommenen Regungslosigkeit die mehr als genug sagte, das graue Ornat, die blasse aber nicht kränkliche haut, die um farbabwesenheit mit dem Weiß des Hintergunds zu wetteifern schien, all dies wollte ihn deplaziert wirken lassen, doch würde es jedem Betrachter, in diesem Falle Cyrgaya, wohl auffallen das es hätte keinen besseren Platz gebenn können als jenen auf dem er stand.
Erneut formte der Wind Silben, auf Silben folgten Worte welche auf der kühlen Böh ritten, zwischen Eiskistallen welche sich anschickten sich als Schneeflocken wiederzufinden und Ungesagtem, sich zu Cyrgayas Ohr tragend lassend: "Sag, Wechselbalg...Cyrgaya...wenn ich dich Frage, welchem der Wege du folgen würdest, hättest du die freie Wahl, wie wäre deine Antwort?"
Als er sie Wechselbalg nannte - Wechsler war das schlimmst Schimpfwort das es gab - verhärteten sich ihre Züge. Hatte sich in den Jahrhunderten denn gar nichts geändert?
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. "Ältester... Du bist der Vater der Zeit und der Hüter von Wissen und Weisheit. Es gab eine Zeit, zu der sich mir nach den Jahrhunderten ein einziges mal die Gelegenheit bot, in unsere Heimatwelt zurückzukehren. Dort musste ich erfahren, was man Dir angetan hatte... Sie hatten Dich aus dem Kreis verbannt. Es war mein Bestreben, so wie auch das von über hundert Deiner Getreuen, dich in die Welt zurückzurufen. Wir traten so in den Kreis, um Dich vom Rand des Chaos zurückzurufen zu den Deinen. Ich trug in jenem unsäglichen Jahr Dein Banner verborgen unter meinem Wams auf das Schlachtfeld, denn offen durften wir nicht für dich streiten. Und als alle anderen banner fielen und die orkischen die Macht an sich rissen, holte ich Dein Banner hervor. Wir waren nur vier, die noch ganz zum Schluss Dein Banner hielten. Auch wenn sie mich in jenem Jahr ob meines Aussehens für die Manifestation des goldenen Bruders hielten, so gehe ich doch schon immer DEINEN Weg, Ältester."
Plötzlich geriet der Älteste in Bewegung. Schritt für Schritt näherte er sich Cyrgaya. Doch liesen sich die Schritte nur erahnen anhand der Bewegung des Steingrauen untergewands, hörte man doch nicht das charakteristische knirschen des Schnees, wie es hätte sein sollen. Selbst die flockigen Winde des Nordens schienen ihn zwar nicht zu meiden, doch ihm aber respektvoll Platz machen zu wollen.
Jeden Schritt den er machte, jeder Fuß der sich vor den anderen setzte, waren weder elegant noch wirkten sie pompös. Ihr einziges Bestreben schien zu sein, den Gang der ihnen vorherbestimmtwar nachzuwandern. Sie waren gezielt, mit Absicht gesetzt.
Vor Cyrgaya kam der Erste zu setehen. Seine braunen Augen verrieten Genugtuung, um nicht zu sagen eine gewisse Zufriedenheit die wohl eindeutig mit der Antwort der alten Frau zusammenhing. "Nun, Cyrgaya, ich bin berreit dein Strafmaß zu mildern. Du hast tapfer gekämpft. Deine Entschlüsse waren weise. Dein Handeln edel. Vorallem aber ist es deine Treue mir gegenüber die mich milde stimmen lassen will.
Aber, Cyrgaya, eine Schiezmünze hat nicht nur Wappen oder Zahl, sondern auch einen Rand den sie uns zeigen kann. Ich will die Ketten die dich halten lockern, sofern du mir die Treue schwörst. Mir und keinem anderen. Du sollst dem Weg zwischen den Wegen folgen.
Viele der Sterblichen Wesen verstehen den Weg des Grauen Drachen nicht. Allein schon aus Mangel an Zeit, ob ihrer Kurzweil an Leben. Natürlich will auch ich, wie all meine Brüder, herrschen über die Drachenlande. Nicht wie im Despot des Kupfernen Bruders. Mit Weisheit. Mit dem Wissen um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.
All meine Kinder, wie sie mir folgen und mit mir Streiten, nicht hinter mir, sondern an meiner Seite, sie alle, sie handeln weise, überlegt und sehen die Konsequenzen. Allein in diesem Jahr."
Der Avatar hielt einen Moment inne. Ein schelmisches Lächeln umspielte seine blassen Lippen, als er sich die Erinnerung an das Fest im letzten Jahr ins Gedächtniss rief. Sie hatten ihn überrascht, mit ihrer List, Schläue und der Weitsichtigkeit ihres Entschlusses den Blauen Drachen an die Macht heben zu wollen.
"Wie dem auch sei, Cyrgaya, der Weg des Grauen Drachen ist für jeden ein anderer, doch ist es nicht der Pfad den meine Brüder und Schwestern beschreiten. Es ist ein anderer. Es ist kein Kompromiss, zwischen denen der jungen Drachen. Es ist der erste Pfad, von dem sich andere Gabeln."
Das Lächeln gefrohr und fand sich wieder in den schmal werdenden Lippen des Avatars, dessen Stimmung sich wohl dem schärferen ziehen des Windes anpasste. Der Klang seiner Stimme wurde ruhiger, fast ein wenig zu ernst.
"Eine treue Jüngerin sagte dereinst Ich denke damit hat sie viel passendes zum Ausdruck gemacht. Mein Weg ist weder Gut noch Böse, mein Weg ist."
Seine Konzentration galt wieder Cyrgaya, als sein forschender Blick den ihren suchte.
Sie hob den Blick und sah ihn an. In ihrem Gesicht zeigte sich nun einiges. Ihre Augen waren grau, wie der Älteste selbst, doch in ihnen schimmerte der blaue Himmel. Kupferfarben die Lider unter schwarzen Brauen. Rot die Lippen und der tiefe Schwerthieb auf ihrer Stirn, graugolden mit einem Hauch ins Grüne die Schuppen. Silber im Haar und am Rand der Narben...
"Dir will ich schwören, Herr, und keinem Anderen."
Der Vater der´Zeit lächelte. Es war ein lächeln welches lippen umspielt deren Ziel erreicht ist, ein Ziel was vor dem Anbeginn der Zeit schon gesetzt war, ein Ziel auf das es hinzuarbeiten gald. Es kahm näher. "Ich nehme deinen Schwur an, Cyrgaya - doch sei gewarnt, brichst du ihn, werde ich dir das Vergessen schenken. Doch nun zu den Ketten,die ich versprach zu lockern; Ich gebe dir einen kleinen Teil deiner Kräfte zurück. Sei nicht ungeduldig Cyrgaya, du hast Zeit. Zeit um dich mir zu beweisen, mir deine Treue als hohen Pfand zu geben. Zum Lohn will ich dir immer etwas mehr Raum geben. Doch deine Gestalt wird die Selbe bleiben.
Mein erstes Geschenk an dich, ist das Wissen um den Ruf des Windes."
Der Avatar hob die Hand zum Mund und hauchte Cyrgaya entgegen...
Sein Atem wanderte hienüber zu Cyrgaya, strich über ihr Gesicht, fuhr in ihren Mund, drang in die Lungen, waraufhin sie stark ausatmen musste. Irgendetwas war fremd.