Etwas außerhalb von Gullminne gelegen am Hang waren die Heeresschulen der Stadt mit ihren Trainingsplätzen. Dort konnte man eigentlich immer jemanden finden.
Tha'Risha war mit strammen Schritt direkt von Sirgals Haus zu den Trainingsplätzen geeilt. Sie musste mit der Situation auf ihre eigene Weise fertig werden. Sie wirkte wie betäubt ... Kaum angekommen, entledigte sie sich der überflüßigen Kleidungsschichten und stand nur in Tunika und Hose auf dem Hof. Sie hatte sich ihre alte Klinge bringen lassen - eine schlanke geschwungene Klinge, mittlerweile schon sehr alt, doch sie tat noch immer ihren Dienst. Die Halbdrow begann mit einfachen Aufwärmübungen und nach einer Weile durchschnitt die Klinge in altbekannter Manier die Luft. Es tat gut, verdammt gut. Bald schon hörte das Denken auf...
Stunden vergingen und Tha'Risha machte einfach weiter. Hauptsache sie musste nicht über Josephin nachdenken. Schweiß rann ihr über den Körper und ihre Kleidung war völlig durchnässt. Immer wieder sah sie Bilder vor ihrem inneren Auge. Erinnerungen an friedliche Zeiten, an gemeinsame Unternehmungen und Reisen. Wut stieg in ihr hoch, Wut über die Adlige und sich selbst.
Faris war unruhig. So aufgebracht hatte sie Tha'Risha selten gesehen. Als sie alles erledigt hatte, was man ihr aufgetragen hatte, und den Sargtlin unterwiesen hatte, Selanaya dann ins Haus der Heilung zurück zu bringen, wann es sie danach gelüstete, machte sie sich auf, nach Tha'Risha zu sehen. Es war nicht schwer, sie aufzustöbern...
Faris hielt sich im Schatten unter einem Dach. Sie behielt die Jallil nur im Auge.
Tha'Risha war völlig fertig und kniete auf dem Sandplatz der Heeresschule. Sie hatte sich auf das Schwert gestützt und atmete schwer, während der Schweiß ihr nur so den Körper herunterrann. Aus den Augenwinkeln sah sie Faris und drehte den Kopf zu ihr, sah sie nur an.
Sie ging langsam auf die kniende Jallil zu. Faris hatte einen Wasserschlauch dabei und hielt ihn der Älteren wortlos entgegen.
Erst jetzt konnte Faris sehen, dass Tha'Risha nicht nur Schweiß übers Gesicht rann, sondern, dass sich auch Tränen darunter gemischt hatten. Ihre Augen waren verquollen und der Schmerz stand ihr im Gesicht. Mit zitternder Hand nahm sie den Wasserschlauch und trank.
Faris holte tief Luft - und verkniff sich jeden Kommentar. Sie zog statt dessen ein weiches Tuch aus der Gürteltasche und reichte es Tha'Risha. Ganz leise fragte sie: "Kann ich irgend etwas tun?"
Sie schüttelte nur den Kopf, ignorierte das Tuch. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr Blick ging ins Leere. Irgendwann straffte sie die Schultern und setzte eine Maske auf. "Faris, es gibt viel zu tun..."
Die Soldatin steckte das Tuch weg und hielt ihrer Vorgesetzten die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Sie konnte sie nicht zwingen, wenn sie nicht wollte... außerdem hatte diese Frau einen starken Mann an ihrer Seite, der ihr sicher helfen würde. 'Schade', dachte sie. 'Ich würde so gern etwas tun - ihr irgendwie helfen... eigentlich macht sie den Eindruck, in den Arm genommen und einfach nur festgehalten zu werden.' Aber sie sagte nichts.
Wie gerne würde sie sich einfach nur anlehnen, aber sie musste doch... Tha'Risha ließ sich aufhelfen, sah Faris an und Tränen liefen ihr über die Wangen.
Etwas härter als beabsichtigt legte Faris der Vorgesetzten eine Hand auf die Schulter und führte sie so in eines der Häuser, wo sich auch die Waschräume befanden. Als sich die Tür hinter den Frauen schloß, drehte Faris Tha'Risha zu sich herum und sah sie lange an...
"Ich hab dafür ... keine Zeit... Ich muss doch..." stammelte Tha'Risha, die gerade wirklich nciht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Hilfesuchend sah sie Faris an.
Auch wenn Faris nur den Bruchteil an Jahren zählte, die Tha'Risha erlebt hatte, so kam sie sich in diesem Moment doch wesentlich älter vor. Mit leisen Worten, deren Inhalt eigentlich keine Bedeutung hatte, zog sie die andere Frau in ihre Arme und deren Kopf an ihre Schulter. "Was auch immer geschehen ist - für Trauer und Tränen ist immer Zeit. Danach wird es einfacher..." und Faris wusste, wovon sie sprach.
"Sie ist tot, Faris...." Tha'Risha weinte und diesemal war es ihr egal, dass es jemand mitbekam.
Faris konnte die Zusammenhänge nur erahnen. Der Bote aus Castlewood, das Siegel, der Besuch bei Sirgal, das wütende, hilflose abreagieren Tha'Rishas nach dem Besuch der Freundin - es gab nur eine Person, die die beiden Frauen verband. Lady Josephin von Castlewood. Und sie war tot? Castlewood war ein Bündnisland - ein Protektorat Sel tac'Zils. Wenn die Landesfürstin tot war, gab es allerdings viel zu tun... Doch dafür würde auch morgen noch Zeit sein. Faris strich Tha'Risha über die Haare, den Nacken. Sie war einfach nur da, hielt sie fest. Ruhig, wortlos, still - aber stark. Wenn die Halbdrow den Wunsch hatte, zu erzählen, würde sie es tun - wenn nicht, war Faris einfach nur ein Halt. 'Und wenn das Alles ist, das ich tun kann, ist es immerhin etwas...'
Tha'Risha ließ sich fallen. Weinte und ließ es raus. "Sie war wichtig..."
Faris gab ihr Zeit - und als sich das Weinen etwas legte, meinte sie sanft: "Eine Dusche? Heißes Wasser wirkt Wunder..."
"Ich muss mich noch um so vieles kümmern..." Tha'Risha wischte sich die Tränen weg, wirkte immer noch etwas abwesend.
"Immer der Reihe nach. Erst mal säubern und wieder Salonfähig machen. Dann etwas essen... und ich will nichts hören! Das ist wichtig und danach denkt es sich besser. Anschließend sollte man vielleicht die Hauptleute für den Truppenbestand und das weitere Vorgehen zusammenrufen..." Faris löste unterdessen die Verschlüsse von Tha'Rishas Kleidung.
Tha'Risha hob die Augenbraue und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Und was gedenkst du dann zu tun, malla Faris? Vor allem... du ziehst mich gerade aus..."
Faris erwiederte das Lächeln. "Ich habe hier jemanden, der dringend Duschen sollte... und dafür werde ich jetzt erst mal sorgen. Und während dieser Jemand sich frisch macht, besorge ich saubere Kleidung und berufe die Hauptleute für in einer Stunde zusammen. Danach werde ich die entsprechenden Karten richten und den Besprechungsraum vorbereiten. Und auf weitere Anweisungen warten." setzte sie dann noch vorsichtig hinzu.
"Asanque," erwiderte Tha'Risha. Dann stand sie auf.
Faris verfrachtete Tha'Risha noch unter die Dusche, dann machte sie sich auf, der Jallil frische Kleidung zu holen und ihre Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Sie machte einen Abstecher in die Heeresquartiere.
Tha'Risha genoss die Dusche. Sie war froh um Faris. Die Trauer um Josephin war längst nicht vorbei, und noch immer schmerzte der Verlust, aber sie musste sich zusammennehmen. Als sie fertig war und nur noch im Handtuch auf ihre Kleidung wartete, da fiel ihr einen Satz ein, den Josephin ihr sagte. "Ein guter Freund weiß, wenn er einen ziehen lassen muss." 'Und du, abbil, bist nun zu deiner letzten Reise aufgebrochen...' dachte die Halbdrow.
Wenig später war Faris mit duftender Wäsche zurück und reichte sie Tha'Risha an. "Etwas besser?" fragte sie leise.
Diese nickte und zog die frische Kleidung an. Sie atmete tief durch. "Danke, und Faris... Zu niemandem ein Wort!"
"Selbstverständlich nicht. Ich habe Euch doch nur frische Kleidung gebracht..." Sie lächelte.
"Bwael," sagte Tha'Risha, band sich dir Haare zusammen und trat auf den Hof. Ihr Schwert hing an der Seite.
Faris schloß für eine Sekunde die Augen - dann folgte sie Tha'Risha. Es war nur ein flüchtiger Moment gewesen, und doch hatte er sich so angefühlt, wie früher. Wie... vor dem ... was im Tempel geschehen war. 'Nur ein Moment', dachte sie. 'Hüte ihn in deinem Kopf, bewahre ihn und lebe.' dachte sie.
"Faris, ich möchte, dass du bei dem Treffen dabei bist. Ich denke, wir werden einige Truppenteile nach Castlewood verlegen." Wut stieg in ihr auf. "Wir werden jeden Stein umdrehen und wenn es notwenig ist, jeden Grashalm niederbrennen... Aber ich will wissen, wer sie auf dem Gewissen hat!"
Faris nickte und folgte Tha'Risha. "Was immer ich tun kann, wird geschehen, malla Jallil. Wir werden den oder die Schuldigen finden. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue..."
Tha'Risha nickte. Beide machten sich auf den Weg ins Haus der Jallil.
Es waren Wochen vergangen, seit die Ereignisse Faris zu Tha'Risha hierher an die Trainingsplätze geführt hatten.
Jetzt kam sie allein hierher. Die Sonne stand bereits tief und voller Wut begann die Sargtlin, auf eine hölzerne Trainingspuppe einzuhacken. Irgendwann warf sie das Schwert weg, zog die Axt aus der halterung am Gürtel und setzte ihr wütendes Treiben fort. Sie bemerkte nicht, dass sich an ihrer Hand der Schweiß mit Blut mischte - und in ihrem Gesicht mit Tränen.
War sie nichts mehr wert? Nur ein Spielball der Drow?
Hieb um Hieb ließ Holzsplitter fliegen.
Kanonenfutter - ohne jeden Wert. Sie war nichts mehr, seit jenem denkwürdigen Tag im Tempel. Jeder Respekt, den man ihr je entgegengebracht hatte war dahin... Alles verspielt... Archiemonde... Ilharn...
"UUUUUUAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHH!" Mit einem wütenden Aufschrei wandte Faris sich von der Puppe ab und stürzte sich auf den Zuschauer - ohne zu erkennen, dass es sich um Zarah handelte. Sie war wie von Sinnen...
Aus vollem Lauf und mit großer Wucht rannte Faris regelrecht in den Zauber hinein und brach zusammen. Die Axt von sich geschleudert flog die schwere Waffe noch ein Stück... Die Sargtlin lag schweißüberströmt, mit blutigen Händen und durchnässten Kleidern im Staub auf dem Boden vor Zarah.
Es war verdammt knapp, doch die Axt verfehlte Zarah - zwar um Haaresbreite, aber sie ging vorbei. Sie ließ den Atem entweichen und kam zu Faris. Dort setzte sie sich auf sie und weckte sie. "Faris? Aufwachen...Los!"
Diesmal traf sie Zarah und verpasste ihr einen Kinnhaken, dass sie rückwärts auf dem Rücken landete. "Verflucht nochmal. FARIS!" donnerte es der umsichschlagenden entgegen.
"Jetzt reichts!" Zarah wurde wütend, und das nicht zu knapp. Sie handelte schnell, ließ eine Hand von Faris los und scheuerte ihr eine, die sich gewaschen hatte. Es war ein roter Handabdruck auf Faris Wange zu sehen.