Um endlich die Arbeitsräume der beiden Hüterinnen in sinnvoller Nähe zueinander zu haben, hatten die Handwerker kurz vor dem Jahresende noch ganze Arbeit geleistet. Ein einfaches Haus am Rande des Adelsviertels in der Nähe zum alten Ortskern war umgebaut worden und stand nun als das Amt zur Verfügung. Sowohl Ry'Kah alsauch Tha'Risha hatten einen eigenen Arbeitsraum dort, der unter anderem auch eine Schlafstätte hatte. Ein großer Empfangsraum mit Kamin stand für Gäste zur Verfügung, den man ebenfalls zum Schlafen herrichten konnte, sollte es notwenig sein. Eine offene Küche würde Gäste und Arbeitende versorgen - es standen weitere Räume im Obergeschoss zur Verfügung, die vielleicht einmal für Rel'Nag, Khyl'Lian, Yaru oder Aly'Triss oder gar den Hausmagier ausgebaut werden konnten.
Hier hatte sich das zugetragen, was Tha'Risha und Faris derzeit solche Sorgen bereitete. Man hatte einen zylindrischen Gegenstand in der Nähe der alten Drow-Stadt beim Knochenbrecherfeld gefunden. Dieser war im Laufe des Abends des 30. Tages im 12. Monat 7-2 geöffnet worden und man hatte in ihm den von Aly'Triss beschriebenen, länglichen Behälter entdeckt, den die Geistmatrone ihn zu finden beauftragt hatte. Ril'Afay öffnete ihn schließlich und neun Seelensteine kullerten heraus, die sich nach und nach jeder einen "Besitzer" suchten. Zwei blieben übrig - und schließlich versuchte Ril'Afay einen auf Geheiß von Ry'Kah zu öffnen. Ein Geistwesen 'sprang' ihr entgegen, prallte aber ab und fuhr in den Stein zurück. Als Ry'Kah danach griff, durchdrang sie der Geist des Wesens - und nahm Besitz von ihr. Es war die alte Ilharess des Hauses Teke'zur. Sie erwies sich als ein Biest, dass nicht daran dachte, sich Rückführen zu lassen, und im durch Lorrinde durchgeführten Ritual aufbegehrte. Sie warf einen Feuerball nach Tha'Risha, welche im Rücken getroffen wurde... Und als das Ritual sie bannte, riß sie den Geist Ry'Kahs vor Wut mit sich. Die geistlose Hülle des atmenden, lebenden aber reglosen Körpers der Ilharess Ry'Kah blieb zurück - und auch der Schwertmeister im Körper Ril'Afays. Lorrinde änderte das Lied und rief den Geist Ry'Kahs zurück... aber die andere Ilharess hatte nicht losgelassen! An Ry'Kah geklammert, kehrte auch sie zurück...
Am Morgen des ersten Tages im Januar 8-2 erhob sich Ry'Kah wie erschlagen von ihrem Lager in ihrem Arbeitszimmer. Sie hatte rasende Kopfschmerzen - und schnell wurde den Anwesenden klar, warum. Es war mehr als deutlich, das Ry'Kah nicht 'allein' in ihrem Körper war. Und die fremde Ilharess gewann mehr und mehr Kraft. Ihre magischen Fähigkeiten, ihre Bosheit und ihre Verschlagenheit drängten Ry'Kahs Geist immer weiter zurück.
Als der anderen Ilharess klar wurde, dass Ry'Kahs Körper ein Kind trug, begann sie einen solchen Hass auf dieses Kind zu entwickeln, dass es fast gefährlich wurde.
Der Geist der fremden Matrone konnte keinen Schaden nehmen. Wohl aber der Körper Ry'Kahs.
Der Tag verging - der nächste kam. Die Fremde schien zu ruhen. Ry'Kah erhob sich und beschloss, in die Badegewölbe zu gehen. Sie fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes unrein und wollte das zumindest äußerlich ändern.
Sie nahm ihren Mantel und ging hinunter in den Ort...
Während der Bote vom Tor von dem Glenn durch die Straßen geführt wird arbeitet bereits die Flüsterpost und schickte an das Amt einen Laufburschen mit der Benachrichtigung das eine Botschaft von einem Boten in den Farben der Goldenen Stadt zu ihr unterwegs sei und eine Depesche für Tha'Risha bei sich hat.
Die Bediensteten nahmen die Nachricht entgegen und schickten den Laufburschen zurück, dass die malla Jallil momentan nicht zugegen sei. Wo sie sich aufielt oder wann sie zurückkäme, sei nicht bekannt, aber die Botschaft sei in ihrem Arbeitszimmer durchaus sicher.
Der Bedienstete nahm die Botschaft entgegen. "Hmm, kennst du das Siegel?" fragte er seinen Kollegen, der nur den Kopf schüttelte. "Mir doch egal. Aber wir sollten die Botschaft wohl weitergeben..." "Wenn du meinst, ich geh sie suchen." Und somit ging der Bedienstete, den ich einfachheitshalber mal Gunther nenne, vom Amt in den Ort und suchte nach Tha'Risha.
Tha'Risha erreichte müde ihr Arbeitzimmer und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich Bücher und Schriftrollen. Ein weiteres Buch lag offen mit diversen Notizen. Daneben ein großer Becher schwarzes Gold - natürlich kalt. Seufzend legte Tha'Risha ihre Kleidung ab, so dass sie nu noch in Tunika und Hose da saß. Die Botschaft legte sie auf den Schreibtisch. Dann suchte sie sich ein neues Buch heraus und durchforstete das Inhaltsverzeichnis.
Nach einer Weile fiel ihr Blick immer wieder auf diese Botschaft. Schließlich nahm sie sie, untersuchte sie nach Magie (Magie spüren) und Gift (Guift spüren), denn man wusste ja nie. Dann brach sie das Siegel und las...
Beide Zauber wirkten zwar, doch keinerlei Magie oder Gift war an dieser Nachricht zu finden.
Sie lass "Werte Freundin, Ich hoffe, ich darf Euch noch als solche bezeichnen. Ich schreibe diese Zeilen, wenn auch mit schwerem Herzen, an Euch. Bei meiner letzten Reise wurde Tristan leider getötet und weilt so nicht mehr unter uns. Die blutigen Details werde ich hier nicht niederlegen, da es mich noch immer schmerzt. Er wurde verbrannt und ein Priester geleitete seine Seele in die Paradiese des Feuergottes, den Tristan verehrte. Wenn ihr diese Zeilen lest, bin ich schon wieder auf Reisen und nicht mehr in der Golden Stadt. Ich hoffe, Euch eines Tages wieder zu sehn und über alte Zeiten lachen und weinen zu können. Ich wünsche Euch ein langes Leben.
Der Brief rang ihr wenig Emotionen ab. Sie war zugegeben nicht gerade erschüttert, aber auch nicht unbedingt erfreut über diese Nachricht. Immerhin bestand einmal so etwas wie Freundschaft. Tha'Risha entschied sich für eine eher private Antwort und würde dann in den nächsten Tagen Ry'Kah über dieses Schreiben informieren. Sie musste nicht alles wissen.
Dann begann die Halbdrow zu schreiben:
"Ussta abbil Nermon,
das, was zwischen mir und Tristan stand, steht in keinster Weise zwischen uns. Ich sah Euch immer als Freund an. Ich spreche weder für das Haus Arab'Ghym noch für das Reich Sel Tac'Zil, denn dies ist mir momentan nicht gestattet, deswegen diese wohl eher privaten Zeilen an Euch.
Bitte, Nermon, nehmt meine aufrichtige Anteilnahme an Eurem Schmerz und Eurem Verlust an. Ihr wisst um die Streitigkeiten in jüngster Vergangenheit, doch die seien nun, da er heimgegangen ist, zumindest von meiner Seite aus, niedergelegt. Denn die Menschen haben ein Sprichwort, welches man mich lehrte : Nichts schlechtes über die Toten! Und daran wollen wir uns halten.
Bitte versteht, dass ich nur für mich sprechen kann.
Ich hoffe doch, werter Nermon, dass wir uns wiedersehen. Die Tore Sel Tac'Zils stehen Euch immer offen, ebenso die meines Hauses.
Auch, wenn ihr diesen Gruß wohlmöglich falsch verstehen könnt, so ist er doch von Herzen gemeint : Möge die große Mutter Euch einen starken und langen Lebensfaden spinnen.
Wir sehen uns wieder, da bin ich mir sicher.
Wie schriebt ihr so schön : In Freundschaft. Ja, in Freundschaft.
Tha'Risha"
Die Halbdrow legte die feder zur Seite, rollte das Pergament und siegelt es mit dem privaten Siegel. Dann rief sie nach einem Bediensteten :"Überbringe diese Nachricht an Nermon. Du wirst heute noch losreiten, aber pass auf, dass keiner blöde Fragen stellt. Niemand anderes, außer Nermon selbst wird diese Botschaft bekommen. Fünf Silber jetzt als Weggeld, fünf weitere, wenn du wieder hier bist. Eil dich!"
Damit widmete sie sich wieder ihren Büchern. Nichts schlechtes über die Toten... Sie seufzte und musste unweigerlich an das denken, was sie vorgehabt hatte.
Tha'Risha fand wenig Ruhe, sich auf ihre Studien zu konzentrieren und legte das Buch weg. Bevor sie Arbeitszimmer und Amt verließ, schloß sie den Brief von Nermon weg - dort würde keiner ihn finden. Dann machte sie sich auf den Weg in den Ort. Sie hatte kein Ziel...