Farina lachte leise und glockenhell. "Ja, ganz sicher! Aber es wurde Zauber auf mich gewirkt. Vielleicht ist es das, was Du bemerkst?" Ihr war nicht klar, dass sie sich da mit einem Drachenjungen unterhielt, wie mit einem Freund.
Farina überlegte eine Weile, suchte sich einen Stein und setzte sich darauf. Dann begann sie: "Um Mitternacht, wenn die Elfen erst schlafen, Dann scheinet uns der Mond, Dann leuchtet uns der Stern: Wir wandeln und singen Und tanzen erst gern.
Um Mitternacht, wenn die Menschen erst schlafen, Auf Wiesen an den Erlen Wir suchen unsern Raum, Und wandeln und singen Und tanzen einen Traum."*
Es war zwar keine Geschichte, doch das erste, was ihr in den Sinn kam.
Der Kleine Drache rollt sich zusammen, im Kreis um Farina und legt den kopf af die Vorderfüsse:
"Schön... Du reimst, das ist toll. Weisst du ich mag geschichten, ich bitte immer alle Reisenden die hier durchkommen um geschichten aber die wenigsten haben sinn für so was, die meisten versuchen immer Adaaa zu erschlagen.."
"Lass mich nachdenken..." Sie sinnierte und kraulte den Bauch des Kleinen. Dann begann sie zu erzählen:
"Drag-en führte Dorian zu einem Meer, dessen Wellen sanft am Ufer plätscherten. Dort rollte er sich ein und forderte den Jungen auf sich hinzusetzen. "Was geschieht hier?", fragte Dorian. "Wir werden hier warten!" "Auf wen den?" "Habe Geduld!" Seufzend setzte sich Dorian und wippte ungeduldig mit den Füßen. Je länger er wartete desto schläfriger wurde er. Da stupste der Drache ihn an. "Es beginnt!"
Wolken waren aufgezogen und verdüsterten den Himmel. Die Wellen brandeten nun hochaufspritzend auf den Strand oder donnerten gegen die Felsen. In der Ferne nahm er eine Bewegung war. Irgendetwas schien auf der Wasseroberfläche zu gleiten. Zunächst nur ein Punkt am Horizont wuchs es mit jeder verstreichenden Sekunde an. Dorian schmiegte sich ängstlich an Drag-en an als er erkannte, welch ein Ungeheuer dort auf dem Meer tobte. Ein vielköpfiges Seeungeheuer war es, aus dessen Nüstern Rauch kam. Schließlich spieen die Köpfe riesige Feuerflammen aus ihren Rachen. Schaurig war sein Schrei, der vom Ufer her Erwiderung fand. Ein Mischwesen stand dort, in dem sich Elemente eines Stiers und eines Nilpferdes vereinigten. "Schau, Leviathan begrüßt Behemot." Blitze zuckten am Himmel und ein kalter Hauch lag über der Welt. Dorian fror, so dass seine Zähne leise aneinander klapperten. "Wer sind denn diese beiden?" "Leviathan findest du in der Bibel. Auf herbräisch heißt sie Liwjatan. Sie verkörpert den Urozean und die Mächte des Chaos, das Böse. Ihr männliches Gegenstück ist das Landungeheuer Behemot. Er ist die Verkörperung brutaler Gewalt, die nur von dem Gott Jawe gebändigt werden kann. Wenn die Endzeit kommt, dann werden sie geschlachtet und den Gerechten als himmlische Speise vorgesetzt werden. Noch an vielen anderen Stellen werden Drachen in der Bibel erwähnt, zumeist als Seeungeheuer." "Die gefallen mir aber gar nicht.", bibberte der kleine Junge.
Da lachte der Drache leise und umfing ihn schützend mit seinen Schwingen. "Du brauchst keine Angst zu haben, denn du stehst unter meinen Schutz. Doch auch mir wird es hier zu ungemütlich. Darum lass uns den Weg dort hinauf gehen. Es gibt noch mehr meiner Art zu entdecken." Wie eine Rakete schoss Dorian den Weg hinauf, froh diesem unwirtlichen Ort entkommen zu können. Drag-en tappselte schmunzelnd hinterher. Als sie oben auf dem Hügel angekommen waren, hatte die Wolken sich verzogen und die Sonne schien nun wieder fröhlich herab. "Puh, das war aber ganz schön unheimlich!" "Nun, die Drachen symbolisierten nach der westlichen Vorstellung das Böse. In vielen Schöpfungsmythen waren sie Seeungeheuer, die für Chaos oder den Teufel standen. Aber es gab auch die mächtigen, feuerspeienden und mit riesigen Fledermausflügeln ausgestatten Drachen. In den Märchen und Mythen waren diese sehr niederträchtig und blutdurstig. Sie raubten Jungfrauen und hausten in Höhlen, in denen sie die gestohlenen Juwelen und Goldstücke verbargen. Edle Ritter und Helden brachen auf, um im Kampf gegen den Drachen zu bestehen. Ein berühmter Drachentöter aus der Nordischen Mythologie war Beowulf, dem es im hohen Alter gelang, einen feierspeienden Drachen zu töten. In der östlichen Mythologie haben dagegen die Drachen einen ganz anderen Stellenwert."
Sie waren mittlerweile in einem wunderschönen Garten angelangt, in dessen Mitte ein Brunnen plätscherte. Vögel ließen sich an dessen Rand nieder und tranken daraus. Auf einmal war ein Fauchen in der Luft zu hören und ein riesiger schupppenbedeckter Lindwurm schob sich auf seinen vier krallenbewehrten Füssen durch das Gebüsch. Mit einer Stimme, in der Donnergrollen lag, begrüßte er Drag-en. Beide rieben sie ihre Schnauzen aneinander. Dann beschnupperte er Dorian und brummte ihn freundlich an. "Dies ist Lung, ein Bruder aus dem fernen China. Ich habe ihn gebeten, dir ein wenig von seiner Art zu erzählen." "Sei mir gegrüßt, Dorian. Es gibt vier Arten der Lungs, die unterschiedliche Aufgaben haben. Die Himmelsdrachen (Tien-Lung) bewachen die Wohnstätten der Götter. Die Drachengeister (Shen-Lung) herrschen über Wind und Regen. Die Erddrachen (Ti-Lung) halten die Flüsse rein. Die Unterweltdrachen (Fut's-Lung) hüten die Schätze der Erde. Wir sind freundliche Geister, die den Menschen wohlgesonnen sind und ihnen Glück und Wohlstand bringen. Der kaiserliche Drache repräsentiert als Sohn des Himmels den Kaiser Chinas. Im Gegensatz zu den vierklauigen Lungs hat dieser fünf Klauen."
"Also dass mit dem kaiserlichen Drachen verstehe ich aber nicht." "Yu war aus dem Körper seines Vaters halb als Drache und halb als Mensch geboren worden. Er war der Herr der Flut. Jahrelang mühte er sich ab, das Wasser in Flüsse zu betten und ins Meer fließen zu lassen. So entwässerte er das Land, welches fortan kultiviert werden konnte. Aus Dankbarkeit für seine großartige Tat überließ man ihm freiwillig den kaiserlichen Thron. Von da an wurden alle folgenden Kaiser als Inkarnation des Drachen Yu betrachtet. Nun muss ich euch jedoch wieder verlassen."
So sprach Lung und verschwand in den Büschen. "Ich glaube, du hast nun genug über Drachen gehört. Lass uns unsere Reise fortsetzen. Es gibt noch so viel zu entdecken!"*