Sirgal nickte. Die roten Stellen, an denen sich zum Teil die Haut löste, verrieten ein Feuer. "Ja", meinte sie, "zumal der Schwarze doch immer wieder starke Züge des Kupfernen aufweist und voller Neid ist. Er war es auch, der dem Silbernen damals in der ersten Welt das Geheimnis der Schöpfung stahl und sich in Weltenwacht versteckte, wo es später zu den großen Kämpfen in der Zeit des Weltenbrandes kam. Es heißt aber auch, dass eine Waffe geschaffen wurde - vom Kupfernen - deren Aufgabe der Göttertod sei. Heute nennt sie sich die Sendbotin der Verlorenen. Und wenn ich darüber nachdenke, tauchte diese Sendbotin in dem Jahr auf, als die Stählerne das erste mal ins Feld zog - und fiel." Nachdenklich sah Sirgal in den Becher, dann trank sie langsam und genießend einen weiteren Schluck von dem Met. "Diese Sendbotin ist ein sonderbares Wesen. Spitze Zähne wie ein Blutsauger, gelbe geschlitzte Augen wie eine Echse, wilde blasslila Zeichnungen im Gesicht und finger, die in schwarzen Klauen enden. Sie weiß nicht wer oder was sie ist. Im letzten jahr hat man sie vergessen lassen, was eigentlich passiert war. Aber wenn ich den berichten glauben schenken kann, wird ihre Macht von Jahr zu Jahr mehr. Sie soll angeblich zwei der Drachenavatare für Minuten erstarrt haben lassen. Ich habe die beiden Bücher leider ncht dabei, kann Euch aber ein anderes Bild von ihr zeigen..." Sirgal ergriff das in schwarzes Leinen gebundene Buch und schlug es ganz vorn auf. Einen Augenblick starrte sie auf das Bild, das sie selbst gefertigt hatte - dann drehte sie es und gab Shylock das Buch in die Hände. "Das ist sie..."
Shylock schaute sich das Bild an und bewunderte dabei die Kunstfertigkeit Sirgals. Dieses Wesen soll die Waffe gewesen sein? Eine interessante These. Genauso interessant wie die Aussage Sirgals, das jemand ihre Erinnerungen manipuliert haben soll.
Aber wenn sie die Waffe gewesen sein sollte, dann wäre der Champion des Stählernen gar nicht der Attentäter gewesen, sondern dieses Wesen. Shylock schüttelte den Kopf.
"Sagt Sirgal, wer hat dieser Sendbotin die Erinnerungen genommen? Und wenn wir schon dabei sind, was ist mit dem Champion des Stählernen passiert?"
"Das Graue Lager, also der Lagerrat, beschloss, das sie eigentlich auf subtile Art getötet werden sollte. Dies geschah zunächst dadurch, dass der Graue das Vergessen über sie senkte. Ich warte noch auf den Bericht Tha'Rishas, denn sie war dabei. Was mit dem Champion geschah, weiß ich nicht. Nur, dass an vielen orten Bruchstücke über das Wissen verborgen sind, und es bisher niemand schaffte, alles zusammenzutragen. Das ist eines, was ich in diesem jahr tun möchte - allein, um dem Goldenen zu helfen... und heruaszufinden, warum diese Frau immer noch durch meine Träume spukt."
Shylock hob die Augenbraue. "Der Graue hat also das Gedächtnis der Sendbotin getilgt. Interessant ..... " Mehr wollte er im Moment nicht sagen, aber warum mischte sich der Graue da ein? Der Herr der Weisheit? Soweit sich Shylock an die Informationen erinnern konnte, war Macht nun ganz und gar nicht die Leidenschaft des Grauen. Hatte er eventuell gemerkt, das der stählerne Avatar das labile Gleichgewicht hätte durcheinander bringen können? Hatte er seine Finger im Spiel? Eigentlich ein recht plaubsible Erklärung, aber das wollte er erst mal für sich behalten. Wer weiß, wie Sirgal als Anhängerin des Grauen darauf reagieren würde.
"Also ist der Mörder verschwunden, hat sich in Luft aufgelöst. Ihn zu finden wäre so gesehen der erste Schritt, um ihn dann zu befragen. Haben wir den Mörder, haben wir den Drahtzieher. Darf ich fragen, wer dieser ThaRisha ist? Und warum wollt ihr dem Goldenen helfen?"
"Tha'Risha ist eine alte Freundin - und ganz nebenbei Lagerratsmitglied des Grauen Lagers. Sie war diejenige, die von mir in die graue Zwischenwelt auf die Schwelle des Todes geschickt wurde, um das Buch des Grauen von dort zu holen... und warum ich dem Goldenen helfen will? Nun, die Sendbotin geistert durch meine Träume. Sie ist mit dem Goldenen irgendwie verstrickt, und ich weiß, dass das goldene Lager seit dem Tod der Stählernen versucht, diesen Mord aufzuklären."
"So alt bin ich aber noch nicht," kam eine Person an den Tisch. Die Halbdrow schmunzelte und nickte Shylock zu. "Interessante Gesprächsthemen habt ihr beiden ja."
Shylock schaute bei der neu hinzu gekommenen Stimme auf, und zuckte zurück. Seine Augen wurden groß, als er die Person sah, die gesprochen hatte. Normalerweise war er kaum zu erschüttern, aber diese Art von Wesen hatte er noch nie gesehen. Einige Kapitäne seiner Heimatstadt hatten zwar auf Festen der Handelsherren von solchen Wesen erzählt, aber sie hatten auch von Elfen und Zwergen erzählt. Und man wußte ja, das Seefahrer gerne versuchten, die Landratten mit ihrem Seemannsgarn zu beeindrucken. Allmählich begriff Shylock, das manche seiner Überzeugung er vergessen mußte, und viele Dinge, die er als richtig eingeordnet hatte, über Bord werfen mußte.
"verzeiht...." Shylock räusperte sich. "Verzeiht mein ungebührliches Verhalten, aber ich sehe zum ersten Mal jemanden eurer Rasse. In meiner Heimatstadt ist mir ein solcher Anblick nie vergönnt gewesen."
Shylock verbeugte sich höflich. "Gestattet mich vorzustellen, mein Name ist Shylock."
Langsam drangen die Worte von Sirgal zu seinem Verstand durch; er wandte sich Sirgal zu. "Wollt ihr mir damit sagen, das ihr in der Lage seid, Magie zu wirken? Oder wie habt ihr es geschafft, eure Freundin in die Zwischenwelt zu schicken?" Langsam wurde Shylock immer klarer, das dieser Auftrag, den er da angenommen hatte, sein bisheriges Weltbild komplett auf den Kopf stellen würde.
"Tha'Risha?" Sirgal drehte sich fast erschrocken zu ihr um. lächelte dann aber. "Sag mal, was treibt Dich denn hier her?" Dann wandte sie sich Shylock zu und meinte trocken: "Ich bin durchaus in der Lage, Magie zu wirken, jedoch zu heilkundlichen Zwecken. Ich habe ihr schlicht und ergreifend die Ader am Handgelenk geöffnet und sie die ausreichende Zeit bluten, aber nicht verbluten lassen."
Die Halbdrow schmunzelte erneut. "Es ist keine ENtschuldigung nötig, Shylock. Ich lege nicht unbedingt wert auf Etikette. Zumindest nicht immer und schon gar nicht hier. Es sei denn dies wäre ein diplomatischer Firlefanz." Sie verzog leicht das Gesicht. "Und was meine 'Rasse' anbelangt.... Naja, zur Hälfte würde ich sagen, bin ich Eurer sehr ähnlich. Aber seis drum. Sirgal scheint mich ja schon zu Genüge vorgestellt zu haben." Damit setzte sie sich einfach und lauschte Sirgal. Bestätigend nickte Tha'Risha :"Ja, um etwas zu holen, das in der Ebene zwischen Leben und Tod ist, ist es am einfachsten, dem Tod sehr nahe zu kommen."
Shylock schaute verstohlen zwischen den beiden Frauen hin und her. Hier schien sich Ärger anzubahnen, obwohl Sirgal diese Frau als Freundin bezeichnet hatte. Langsam lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, und paffte scheinbar gedankenverloren seine Pfeife.
In Wirklichkeit arbeiteten seine Gedanken schneller als man es sich vorstellen konnte. Er versuchte das, was er bis jetzt erfahren hatte, in einen Kontext zu bekommen. Die Idee seines Auftraggebers, die Waffe in die Hände zu bekommen, konnte dieser vergessen. Sollte sich die hier anbahnende These, das diese Sendbotin die Waffe war, bestätigen, wäre es ohnehin nicht möglich sich dieser Waffe zu bemächtigen, ausser, man war in der Lage, diese irgendwie zu bändigen.
Shylock merkte, das seine Pfeife ausgegangen war. In Gedanken versunken, suchte er nach einen Holzspan, um sie wieder in Gang zu setzen, aber plötzlich begann die Pfeife wieder von alleine zu rauchen.
Sie hob die Augenbraue. "Mach dich nciht lächerlich. Keiner schickt mich um dir hinterherzuspionieren. Oder meinst du, ich lasse mich schicken? Aber nicht nur dustehst mit dem Grauen in Verbindung, meine Liebe!"
Ezwas lag in der Luft, dass Sirgal grad sehr aufbrachte... Aber sie lächelte freundlich und schob dann den Stuhl zurück. "Entschuldigt mich einen Moment." Sie wandte sich ab, so wie sie war und ging hinaus.