"Wie man mir erzählte hat auch der ein oder andere vergessen zu atmen, als er den Grauen bedrohte... Aber ich kann mir nciht vorstellen, dass er jemanden aus dem Kreis der Brüder tilgen würde. Kupfer hingegen hat schon einmal das band zwischen den Menschen und den Drachen zerrissen und sich gegen alle anderen Drachen gestellt..."
"Damals", sagte sie und ihre Stimme wurde dunkler, fremder, "in der ersten Drachenwelt, hat der Kupferne Drache das Band, das sich zwischen dem Sterblichen Leben und den Drachen gebildet hatte, zerrissen, um dafür zu sorgen, dass die Drachenbrüder nicht zu viel Macht erhielten. nach dem Eintritt der Leere gab es dann nichts mehr, was die Drachen in der Welt hielt - und sie schworen Rache gegen den Kupfernen..."
Shylock überlegte. Wenn der Kupferne damals dieses ominöse Band zwischen den Sterblichen und den Drachen wirklich zerrissen hatte, dann wäre er wohl wirklich der allererste Kandidat als Drahtzieher des Mordes. Aber wäre dieser Avatar wirklich so dumm, seine eigene Waffe, die Sendbotin gegen den Stählernen zu verwenden?
"Sirgal, mit allem Respekt, aber auch wenn der Kupferne damals dieses Band zerrissen hat, so glaube ich nicht, das er so dumm ist, wieder zuzuschlagen. Wenn, dann will er alle Drachen und ihre Anhänger vernichten, um alleine zu herrschen. Ein Schlag gegen einen einzigen Drachen ist nicht sein Stil."
Shylock zog an seiner Pfeife. "Er ist einer der Verdächtigen. Und ich frage mich immer noch, warum der Graue das Gedächtnis der Sendbotin gelöscht hat."
"Weil der Rat des Grauen Lagers es so wollte, Shylock." Sie überlegte kurz. "Vielleicht wollte er die Wirksamkeit der Waffe ausprobieren, um sicher zu gehen, dass sie funktioniert? Außerdem hat der Kupferne auf dem Fest der Drachen einen Weg gefunden, den Ritualkreis anzuzapfen und dessen Energien zu nutzen, um in die Erste Drachenwelt zurückzureisen. Er will dort seine Macht ausbauen, um eine bessere Ausgangssituation zu haben... das ist der Grund, warum der Graue alle Streiter zusammenruft, um uns in diese erste Welt zurückzuschicken, das zu verhindern..."
Shylock schaute etwas erstaunt, als er die Aussage Sirgals' verstand.
"Sirgal, ihr wollt damit sagen, das euer Avatar euch in der Zeit zurück schickt? Das ist doch vollkommen unmöglich! "
Innerlich erschauderte Shylock. Wer eine solche Macht besaß, der konnte alles tun. Damit wären auch sämtliche Thesen, wer hinter dem Mord an dem Stählernen steckte, ad absurdum geführt. Der Graue hätte, rein theoretisch, in der Zeit reisen können, und den Stählernen höchstselbst ins Jenseits befördern können, und dann wieder in den normalen Zeitfluss zurück kehren können. Allmählich bekam er Kopfschmerzen.
Sirgal lächelte. "Der graue ist nicht nur der Hüter von Wissen und Weisheit, sondern auch der Vater der Zeit, Shylock. Wenn einer es kann, uns dorthin zu entsenden, dann ER. Ich bedauere einmal mehr, die Bücher nicht zur Hand zu haben..."
Vater der Zeit ... das würde ja bedeuten, das er genau wußte, was hätte passieren können, wenn der Stählerne weiter gelebt hätte ... Shylocks Verdacht gegen den Grauen wurde immer stärker. Aber die anderen Drachen hätten auch ein Motiv gehabt, und es wurde Zeit mehr über diese zu erfahren.
"Sirgal, so vertraut ihr mit den Drachen seid, was könnt ihr mir über den Silbernen berichten? Und warum hat er als einziger eine ... " Shylock hüstelte "... ziemlich attraktive weibliche Hülle gewählt?"
"Die Beweggründe sind mir nicht bekannt, aber ich kann mir vorstellen, dass es mit dem 'stählernen Kind' zu tun hat. Auch der Grüne hat eine weibliche Hülle gewählt - und behält diese jetzt schon im dritten Jahr bei. Vielleicht ist es auch gezielt als Gegengewicht zu dem männlichen Aspekt der anderen gewählt - ich weiß es wirklich nicht."
Sirgal hielt plötzlich inne und rieb sich die Stirn. Dann griff sie nach einem Blatt Pergament und einem Griffel, woraufhin sie mit wenigen Strichen etwas auf das Blatt zeichnete. Unter ihrer hand entstand ein bläuliches Schimmern, der blausilberne Stern auf dem rechten Handrücken schimmerte im Licht. Die feinen Härchen an den Armen standen ihr sichtlich zu Berge. Meer, einige Eisberge, die wie eine Klaue aus dem Wasser ragten, ein mit Schnee und Eis überfrorenes Segelschiff... Nur eine Skizze, aber eine dieser Erinnerungen, durch das Gespräch über die Silberne erweckt.
"Verzeiht, ich wollte nicht unhöflich sein", entschuldigte Sirgal sich, als sie den Griffel weggelegt hatte.
Shylock schaute etwas verblüfft auf das Bild, das in wenigen Minuten entstand. Ebenso beobachtete er das Strahlen, der von der Tätowierung auf Sirgals rechter Hand ausging. Magie, dachte er, reine pure Magie. Noch etwas, an das ich mich gewöhnen muß, sollte ich wirklich mit dieser Frau weiterziehen.
"Sagt Sirgal, diese Tätowierung, was es damit auf sich?" Dann schaute er sich das Bild an, und stutzte.
"Das Schiff sieht aus wie eine Holk in meiner Heimat. Es ist der Schiffstyp, den die Händler am liebsten benutzen. Und das Eis ... nun, die sehen aus wie die Eisberge die im Winter im Hafen der nördlichsten Stadt des Bundes treiben."
"Tätowierung?" fragte Sirgal verwundert und sah dann auf ihre Hand. "Oh. Nein, das ist nichts gewolltes... Es ist ein misslungener Zauber - ein Experiment, dass man mir auferlegte und nicht wieder Rückgängig gemacht werden konnte. Es verstärkt ein gewisses Talent, die Feder zu führen. Mehr nicht." Dann sah sie auf das Bild und ihr Blick verlor sich darin... Ihre Stimme wurde Nuancen dunkler, als sie sprach: "Im Jahr von Blut auf Schnee war es, als etwas aus dem Himmel in die warme See niederstieß und dort eine eisige Klaue emporgriff, wie die Klaue des Silbernen selbst. Nichts anderes als ein Fluch der Götter konnte das warme Meer binnen Sekunden gefrieren lassen. Sogar die Segel der Schiffe wurden zu Eis und alle flohen aus der Nähe des kalten Herzens des Meeres..." Sie erschauerte fröstelnd. Dann wurde sie unruhig. Der Tag der Abreise war sehr nah...
"Nein", meinte sie zögernd, ergänzte aber: "Ich werde eine Reise antreten, jetzt in den nächsten Tagen. Ich sollte aufbrechen..." Sie hob den Blick. "Sollen wir uns am zehnten Tag des kommenden Monats wieder hier treffen? So ich die Reise überstehe und aus der ersten Drachenwelt wiederkehren kann?"
DAs, was ihr bevorstand, und die darauf folgenden Ereignisse standen auf einem noch unbeschriebenen Blatt, doch hätte sie um all das gewußt...
Es ist eine gute Einrichtung, dass wir unser Schicksal nicht voraussehen können.
Die Tage gingen ins Land.
Am frühen Abend des verabredeten Tages kam die Botin wieder in die taverne zurück und wandte sich dem Kamin zu. Diesmal hatte sie ein großes Bündel dabei, das ganz offensichtlich schwer war, zumindest dem Geräusch nach, als sie es auf dem Tisch am Kamin ablegte. Schmal war sie, wirkte eingefallen, grau und elend. Die Augen gerötet und die Haut fahl... Schweigend stand Sirgal am Feuer und streckte die Hände gegen die Flammen, um sich zu wärmen. Wie zur Bestätigung grollte draußen Donner und Regen klatschte Sekunden später in wahrem Platzregen an die Scheiben und zischte im Feuer. Diesmal trug sie eine rote Tunika mit schwarzsilbernem Bortenbesatz, die dunkle Wollsurcot und eine schwarze Hose. Die Haare waren nass und Wasser tropfte ihr auf die Schultern.