Seit diesem Gespräch waren viele Wochen vergangen. Die Rückkehr nach Sel Tac'Zil hatte sich wie erwartet nicht ganz problemlos gestaltet, doch Sirgal war geblieben.
Die Legendenweberin war zu alten Gewohnheiten zurückgekehrt. Langen Ausritten, dem Pflegen von Kontakten.
So saß sie an diesem sonnigen Tag im Mai vor dem Kupferkessel, hatte die langen Beine ausgestreckt und den Kopf nach hinten an die Hauswand gelehnt. Dösend hielt sie ein Gemisch aus heißer Milch und schwarzem Gold in der hand und genoß einfach Ruhe und Wärme.
Einige Zeit war vergangen, und in dieser Zeit hatte Hrothgar einiges gesehen, viel erlebt, und auch manchmal durch Schmerz lernen müssen. Die Zeit der Frühjahrsstürme war vorbei, und so begab er sich auf den Weg zurück zu dem Hafen, wo ihn sein Schiff und seine Mannschaft erwartete.
Auf diesem Weg zurück begab es sich, das er sein Pferd auf einen Weg lenkte, der zu einer Taverne führte, die den Namen "Zum Kupferkessel" trug. Während er langsam und gemütlich dahin ritt, dachte er mit einem Lächeln an das Gespräch mit der Scriptorin Sirgal. Wie recht diese Frau hatte; vieles was sie gesagt hatte, hatte sich als zutreffend erwiesen. Ob ihm das Glück hold war, und sie auch dort war?
Er hoffte es, denn er hatte damals etwas gesagt, das ihn verpflichtet hatte ... und ob er es wollte oder nicht, diese Verpflichtung rief ihn nun ...
Sirgal hörte den Reiter lange bevor sie ihn sah. Es war ein so charakteristisches Geräusch, dass sie es sofort wahrnahm. Die wenigsten waren hier zu Pferd unterwegs. Sie ließ sich jedoch nicht stören und hielt die Augen weiter geschlossen. Hier erwartete sie keine Gefahr - zumal der Reiter gemächlich unterwegs zu sein schien. Einen Schluck von dem fast kalten Gemisch nehmend, genoß sie die wärmende Sonne. Sie erholte sich jetzt erst richtig von der längeren Krankheit, die sie ein paar Wochen geplagt hatte, und der die beiden Reisen nicht gerade zuträglich gewesen waren - Sapientia hin oder her.
Langsam ritt Hrothgar in den Hof der Taverne und stieg ab. Ein blonder Junge, der wohl um die 14 Winter alt war, trat aus der Tavernentür, und eilte ihm entgegen. "Womit darf ich zu Diensten sein, Herr?" Hrothgar lächelte, und gab dem Jungen ein Silberstück. "Reib sie gut, ab versorg sie gut, und ..." er gab dem Jungen noch ein Silberstück ... "Gib ihr reichlich zu fressen, mich Klotz zu tragen ist nie leicht."
Der Junge verbeugte sich: "sehr gerne Herr." damit nahm er die Zügel aus Hrothgars Händen. "Ach und bring bitte meine Satteltaschen in die Taverne, ich gedenke, heute nacht hier zu bleiben." "Sehr wohl der Herr, mein Vater wird sich freuen."
Langsam drückte Hrothgar seinen Rücken durch, und blickte dabei über den Hof. Dabei entdeckte er die Gestalt, die auf einer Bank sass, und anscheinend vor sich hindöste. Sein Herz tat einen Sprung; war das Sirgal? Er trat leise näher, um die Gestalt anzusprechen ...
Sich Sirgal ungehört zu nähern, war nicht einfach und so wusste sie, dass jemand kam. Die Legendenweberin blieb, wie und wo sie war, lauschte jedoch aufmerksam...
Hrothgar betrachtete die Gestalt; es war Sirgal, das Glück war ihm hold. Da sie die Augen geschlossen hatte, und er nicht sicher war, ob sie schlief, sprach er leise: "Verzeiht Legendenweberin Sirgal, darf ich euch stören?"
Sie lächelte, bevor sie die Augen öffnete und Hrothgar ansah. Sirgal setzte sich etwas grader hin, blinzelte und sah zu ihm auf. "Hrothgar? Was verschlägt Euch denn wieder hierher?"
Hrothgar legte die zur Faust geballte rechte Hand auf sein Herz, und verbeugte sich. "Es freut mich sehr, euch wiederzusehen, Legendenweberin." sagte er. "Und um eure Frage zu beantworten, ich bin auf dem Weg zu meinem Schiff, denn die Sturmzeit ist vorbei, und ich muß wieder meine Aufgaben gegenüber meinem Eidherrn erfüllen."
Sein Lächeln wirkte leicht melancholisch. "Manchmal habe ich den Eindruck, das nichts zufällig passiert .... "
"Lasst mich bitte zuerst den Staub der Reise abwaschen; ausserdem rieche ich doch nach zwei Tagen im Sattel etwas nach Pferd. Und einem guten Essen bin ich nicht abgeneigt, denn Reisen macht hungrig."
Hrothgar verbeugte sich wieder, und wandte sich gen Eingang in die Taverne. Bevor er sich aber in Bewegung setzte, drehte er sich nochmal um und sagte: "Legendenweberin, ich hatte gehofft euch hier zu treffen. Ich brauche eure Hilfe."
Damit setzte er sich endgültig in Bewegung in Richtung Taverneneingang.
Sirgal wandte ihm den Kopf zu und sah dem Reisenden verwundert nach. Wofür brachte jemand wie Hrothgar ihre Hilfe? Sie übte sich in Geduld und orderte in der Zwischenzeit ein Mittagessen für zwei bei Mika, dem Wirt.