Der Gastwirt hatte schon ein Zimmer für Hrothgar bereit, und dort seine Satteltaschen hinbringen lassen. Hrothgar zog sich aus, wusch sich, und nahm frische, saubere Kleidung aus seinen Satteltaschen. Als er fertig war, zögerte er beim Waffengurt; er liess seine Axt und seinen Parierdolch schlussendlich im Zimmer. Dann ging er wieder hinunter; dabei überlegte er, wie er der Legendenweberin klar machen sollte, was ihm passiert war, und das er, das Großmaul, ihre Hilfe brauchte.
Er trat aus der Eingangstür und ging auf Sirgals Tisch zu, der sich inzwischen unter den Köstlichkeiten bog. "Legendenweberin, ihr seid meine Lebensretterin" meinte er nur, und nahm Platz. Dann griff er herzhaft zu.
Sirgal lächelte, aß selbst nur wenig und beobachtete Hrothgar. Hatte er sich verändert? Sie musterte ihn, gab ihm aber erst Zeit zum essen, bevor sie etwas sagte.
Hrothgar langte zu, und trank auch von dem Bier, das der Gastwirt gut ausgeschenkt hatte, aber bei weitem weniger als früher. Er wirkte auch nachdenklicher und bei weitem nicht mehr so großmäulig, wie beim ersten Treffen mit der Legendenweberin.
Nachdem er den zweiten Krug Bier geleert hatte, sprach er:" Wißt ihr Legendenweberin, auch ein alter Mann wie ich ist immer noch lernfähig. Und seit unserem letzten Treffen mußte ich einiges lernen. Darunter auch, das auf dem Festland hinter den Häfen andere Spielregeln gelten als die auf der See."
Sirgal nickte langsam. "Das ist wohl wahr. Dennoch bin ich überrascht, euch aus dem Landesinneren kommen zu sehen, Hrothgar. Und wie kann ich euch helfen?"
"Ihr wißt, das ich kurz vor dem Beginn der Sturmzeit meinen Eidherrn zu einem Fest gebracht habe. Da seine Knappen sich beide den Magen verdorben hatten, nahm er mich als Begleitung zu dem Fest mit. Ich will euch nicht mit Details langweilen, aber das Fest lief nicht so, wie die Gastgeberin es wollte. Nachdem aber alles doch zu einem guten Ende gefunden hatte, hatte ich das Gefühl, das es noch mehr zu sehen und zu erleben gab, als nur die Häfen eines Landes. Ich bat meinen Eidherrn, das ich meine Pflichten während der Sturmsaison auf meinen Stellvertreter übertragen dürfte, um mich umzusehen in den Ländern hinter den Häfen. Nun, bei meiner ersten Reise haben wir uns ja getroffen, und ich glaube ... " hier lächelte Hrothgar gequält ... "ich habe bei euch keinen guten Eindruck hinterlassen."
Langsam nahm Hrothgar einen Schluck von seinem Bier.
"Nun, nach unserem ersten Treffen reiste ich weiter; ich habe einiges gesehen, und auch erlebt. Jedenfalls soviel, als das mein Name, der im Vinland doch recht bekannt ist, hier nichts zählt. Also besann ich mich auf meine alten Tugenden, und lernte."
Hrothgars Blick wurde düster. "Ihr erinnert euch vielleicht daran, das wir über die Drachen gesprochen haben, auch über den Herrn der Zeit, dem ihr folgt, und wir haben über eine Stadt gesprochen, die in der Vergangenheit liegt; und das ich damals etwas sehr voreilig etwas gesagt habe, das mich nun verfolgt."
Hrothgar blickte auf die Tischplatte, und man konnte seinem Gesicht ansehen, das es in ihm arbeitete. Dann sprach er leise weiter: "Ich glaube weder an Gespenster, noch an Träume. Aber seit ungefähr einem Mond habe ich jede Nacht den gleichen Traum. Eine junge, wunderschöne Frau, dem Aussehen nach eine Südländerin mit schwarzen Haar, dunklen Augen und einer sehr starken Ausstrahlung erscheint mir, und spricht zu mir:' Du hast ein Versprechen gegeben, und ich brauche Deine Schlauheit. Halte Dein Versprechen!!!' Danach erscheint ein Wesen hinter ihr, das wie ein Drache aussieht."
"Legendenweberin Sirgal, es sieht so aus, als das ich euch nach dieser Stadt in der Vergangenheit begleiten muß."
Hrothgar schaute der Legendenweberin direkt in die Augen. Man sah ihm an, das etwas in ihm kämpfte. "Wie kann ich ihr Treue schwören, wo ich als Eidmann schon meinem Eidherrn verschworen bin?" flüsterte er leise. "Ich will es, aber .. ich kann meinen Eidherrn doch nicht verraten !!! Bitte, Legendenweberin, was soll ich machen? Noch nie stand ich vor einem solchem Problem!"
Sirgal beugte sich vor, legte die Unterarme auf den Tisch und die Hände ineinander. "Es ist gut, Hrothgar. Ihr verratet Euren Herrn nicht. Vermutlich wird er Eure Abwesenheit nicht einmal bemerken. Wenn die Kaiserin ruft, schickt sie uns zurück - und zwar genau auf den Zeitpunkt, von dem wir kamen."
Hrothgar schloss die Augen und atmete tief durch. So blieb er ein paar Minuten sitzen. Schliesslich öffnete er die Augen, und lächelte sanft:"Nun denn." sprach er.
Dann stand er auf, umrundete den Tisch, kniete vor der Legendenweberin nieder, hob die Schwurhand und sprach:" Hiermit schwöre ich, Hrothgar Olafson, freier Mann der Vinlande, der Herrscherin von Weltenwacht, Kaiserin Phaedana, Treue bis in den Tod. Diesen Schwur leiste ich vor der Legendenweberin Sirgal, Getreue des grauen Drachen, Herr der Zeit."
Hrothgar kniete immer noch, aber er schaute der Legendenweberin in die Augen. "Was ich gerade sagte, bezog sich auf eine eurer Facetten Legendenweberin, eine, die sehr wichtig ist. Denn ich bin mir sicher, das ihr als Getreue des Herrn der Zeit immer mit ihm verbunden seid. Und auch er soll hören, was ich gerade geschworen habe. Das ihr noch viele weitere Facetten habt, das ist mir klar. Und ich glaube sogar, das es an euch Facetten gibt, die viel älter sind, als man es sich vorstellen kann."
Dann zögerte Hrothgar. "Ich bin mir sicher bei dem, was ich gerade getan habe, euch gegenüber. Was euch angeht, wie kann ich wissen, was ihr alles verkörpert, wenn ich bisher euch nur ein einziges Mal begegnet bin?"
Hrothgar hatte den Finger in die tiefe Wunde in Sirgals Herz gelegt. "Ihr seid euch sicherer als ich selbst es bin. Ich frage mich, ob ich wirklich eine Getreue des Grauen bin, Hrothgar. Er hat mich verachtet, ignoriert, beiseite gestossen in Weltenwacht. Er hat mich vor den Kopf gestoßen auf der Festinsel im letzten Jahr... Er muß sich mir beweisen, muß offenlegen, was er ist und was er von mir will. Zu viele Fragen sind offen. Zu viele Dinge verschwiegen und im Dunklen. Seit 8000 jahren scheint er mich an seine Seite zu holen... oder zu zwingen? Endet das Rad der Entwicklung für mich nie? Gibt es kein Entkommen?"
Hrothgar staunte. Langsam stand er auf, und überlegte, was er zu diesen Aussagen einer Legendenweberin sagen sollte. Das man mit seinem Eidherrn nicht immer einer Meinung war, ja sich sogar mit ihm ernsthaft streiten mußte, kannte er selber. Aber das nun aus dem Munde einer Frau zu hören, die er insgeheim bewunderte und die er unerschütterlich an der Seite des Grauen sah, war schon ein wenig erschreckend.
"Legendenweberin, was soll ich einfacher Mann dazu sagen? Wer von uns Menschen kann schon begreifen, was die Drachen vorhaben? Und insbesondere der Graue, der der älteste Drache im Bunde ist?"
Hrothgar setzte sich wieder. Er schaute die Legendenweberin an, und sah, das sie in ihren eigenen, widersprüchlichen Gedanken versunken war. Langsam trank er einen Schluck Bier, und überlegte. Was mochte geschehen sein, das die Legendenweberin so bitter über den Drachen, dem sie folgte, sprach? Und sollte er sie darauf ansprechen? Nein, entschied er sich, diese Sache war eine Sache zwischen ihr und ihrem Drachen.