Tha'Risha keuchte und schloss die Augen. Ihre Hand suchte zitternd die von Ry'Kah.
"Du siehst," sprach er. "Sie hat dich in der Hand. Sollte es nicht andersherum sein, Priesterin?" Selvetarm wirkte fast amüsiert. "Sie hat dich belogen, als sie vor dir kniete. Und nun, beende diese Farce!"
Ry'Kahs Züge erstarrten. Sie streckte die Hand in Richtung Shi'Nalas aus und ließ sich den Dolch von Khyl'Lian geben. Die Priesterin schwieg. Ihre Finger schlossen sich um den Griff des Dolches und sie setzte die Klinge Tha'Risha an die Kehle. Der Dolch war scharf. So scharf, dass das bloße Auflegen auf die Haut eine dünne blutige Linie hinterließ. Sie hatte Tha'Risha die Gunst nicht gewährt, die Hand erreichen zu können. "So sollst Du zum Geschenk der Göttin werden." Sie zog den Dolch langsam zu sich heran...
Selvetarm ließ die Peitsche wieder Richtung Khyl'LIan schnellen. "Schweig!"
Die Präsenz hielt die Hand der Priesterin auf, der Dolch verblieb an der Kehle. "Sieh es als Prüfung, Ry'Kah. Und als Warnung!" Dann bewegte sich der Dolch wie von selbst und bohrte sich oberhalb von Tha'Rishas Kopf in den Altarstein. Die Präsenz war verschwunden, nur ein Nachhall blieb, etwas, dass nur Ry'Kah verstehen konnte. "Ich erwarte, dass du sie zur Drow erziehst. Versagst du, treffen wir uns hier wieder!"
Selvetarm trat vor den Altar und mit einer Handbewegung als Ausdruck seines bloßen Willens warf er die Halbdrow vom Altar. "Knie dich hin und erneuere deinen Schwur! Und wage es nicht zu betrügen, die Qualen, die dich erwarten würden, sind schlimmer als das, was du dir vorstellen kannst."
Tha'Risha, die völlig verdreckt und blutüberströmt war, schaffte sich auf die Knie. Sie befand sich direkt vor dem Altar, Ry'Kah und Selvetarm auf den Stufen. Mit zitternder Stimme aber recht deutlich sprach sie :"Ich..ich schwöre der malla Ilharess Ry'Kah des Hauses Arab'Ghym Treue und schenke ihr mein Leben, sowie das meiner Nachkommen..."
Tha'Ya hatte sich die ganze Zeit hinter einer Säule versteckt und musste mit Entsetzen mit ansehen, was man ihrer Mutter antat. Sie schaute Selvetarm an, dann Tha'Risha. Doch das kleine Mädchen weinte nicht, im Gegenteil...
Er stöhnte erneut - diesmal vor Schmerz, denn die Peitsche wurde von göttlicher Hand geführt. Sie hatte die bloße Haut getroffen, und nun zierten zwei blutende Striemen die glatte, muskulöse Brust. Er stützte eine Hand auf den Boden, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Ry'Kah erstarrte, als ihr die Hand aufgehalten wurde. Es war wie eine Mischung aus Eiseskälte und neuerlichem Schmerz. "Usstan kampi'un. Dosst daewl zhah ussta quarth, zhennu ilhar.*" Ry'Kah zitterte. Als Selvetarm Tha'Risha vom Altar stieß, zuckte die Priesterin kaum merklich zusammen. Dann erneurte Tha'Risha ihren Schwur und Ry'Kah sprach leise und eindringlich: "Vergiss niemals, was heute hier geschehen ist. Werde Drow - und zwar im Herzen. Sonst wirst Du sterben, so wahr ich hier stehe!"
* Ich verstehe. Euer Wunsch ist mir Befehl, große Mutter.
Tha'Risha kniete vor Ry'Kah. Sie wagte nicht, aufzusehen. "Ich diene Euch und Lloth, malla Ilharess."
Er trat von Ry'Kah zurück und ging wieder auf das Abbild der Göttin an der Wand zu. "Ich denke nicht, dass du mich wiedersehen willst, Priesterin!" Dann trat er durch das Tor.
Yanni kam aus ihrem Versteck und ging nicht auf Tha'Risha sondern auf Ry'Kah zu. Sie klammerte sich an das Bein der Priesterin.
Es war wie ein Donnern in Ry'Kahs Kopf ( also Steck deinen Kopf in nen Metalleimer und ich hau wie blöde drauf rum, so fühlt sich das an ), als er die Stimme erhob. "Du stehst in ihrer Gunst, aber treib es nicht zu weit und nun sieh zu... du hast Arbeit!" Yanni streckte Ry'Kah die Ärmchen entgegen. "Ilhar?"
Es war wie ein Schlag ins Gesicht, unter dem Ry'Kah sichtlich zusammenzuckte. Sie hob das Kind auf und nahm Tha'Ya in die Arme. "Kleine Kriegerin - nun gilt es, das Schlachtfeld zu sichten." sagte Ry'Kah leise. Sie sah sich um. Ihre Stimme war klar und deutlich und voller Kraft, als sie die folgenden Anweisungen erteilte: "Shi'Nala - nimm Tha'Ya und bring sie hinauf zu den anderen Kindern. Sorge dafür, dass sie etwas warmes zu trinken bekommt und nicht allein ist." sie gab der Novizin das Kind und wartete, bis sie den Raum verlassen hatte. Dann fiel ihr Blick auf Tha'Risha. "Briz'Shalee - kümmere dich um die Verletzten. Sargtlinen, bringt sie nach nebenan. Heilerin, sieh zuerst nach Jhan'afay, dann versorge Tha'Risha. Khyl'Lian? Geht zu Kar'Yann. Wenn er Dich versorgt hat, will ich ihn umgehend sprechen. Der Rest: Hinaus!"
Sie stand wieder aufrecht, herrisch und stolz im Altarraum.
Tha'Risha beobachtete Tha'Ya aus den Augenwinkeln, wagte aber nicht, den Kopf zu heben. Sie war am Ende, völlig erschöpft. Leise sagte sie :"Ich bitte um Vergebung, malla Jabbress."
Die Sargtline brachten zunächst die bewusstlose Jhan'afay in die Wachstube. Als sie zurückkamen, traten sie neben die immer noch knieende Halbdrow.
"Lass Dich versorgen, reinige Dich. Wir werden uns dann später unterhalten. Du darfst gehen." sagte sie äusserlich ruhig.
Ry'Kahs Kräfte schwanden. Sie spürte es. Die anderen mussten den Raum verlassen. Warum gingen sie nicht endlich? Noch immer waren die quälenden Schmerzen der beiden Hiebe der fünfköpfigen Schlangenpeitsche allgegenwärtig. Das Gift hatte sich verteilt und der Schmerz wand sich wie eine Schlange in ihren Eingeweiden.
Als die anderen schließlich den Altarraum verlaaen hatten, drehte Ry'Kah sich zu dem Marmorblock um, auf dem Spuren von Tha'Rishas Blut waren. Sie ging darauf zu, stieg die beiden stufen hinauf und brach vor dem Altar haltlos in die Knie. Stöhnend versuchte sie sich wieder aufzurichten, jedoch versagten ihr die Kräfte. Die Schmerzen waren so stark, dass sie sich auf dem Boden krümmte, die Knie an den Leib zog und die Arme gegen den Bauch presste. Sie sah Sterne und keine klaren Konturen mehr. Zitternd verharrte sie mehrere Minuten so, wand sich, wartete, dass die Schmerzwelle verklang.
Tha'Risha besah sich Jhan'afay, während sie auf Briz'Shalee wartete. Sie hatte mit der Sargtlin nie großartig etwas zu tun gehabt. Und sie wollte es nun auch nicht mehr. Ihre Gedanken schweiften ab. War es das, was sie wollte? Drow sein? Wieso auch immer, sie machte Ry'Kah keinen Vorwurf. Wenn dann nur sich selbst. Es war die Entscheidung der großen Mutter und scheinbar hatte diese noch etwas mit ihr vor, sonst wäre sie vermutlich schon lange tot gewesen - oder schlimmeres. Sie hatte einiges gelernt und wusste wo ihr Platz sein würde. Sie hatte eingesehen, dass sie sich zu viel erlaubt hatte und nun bezahlte sie dafür. Es war wohl rechtens. Sie würde der Göttin dienen und er Ilharess. Völlig erschöpft ließ sie sich an der Wand nieder. Blut lief ihr über den Rücken. Die Spuren der vergangenen Tage waren offensichtlich. Doch es würde vergehen, da war sie sich sicher. Es verging schon einmal...