Sirgal griff sich an die Stirn und rieb sich die Nasenwurzel. Diese Form von plötzlich einsetzenden kopfschmerzen kannte sie bereits, es kam gelegentlich vor, wenn es um die alte zeit ging. "Alles ist so verschwommen", sagte sie leise. "Meine Erinnerungen sind wie hinter Nebel verborgen und zeigen immer nur Bruchstücke. Allein die Erinnerung der Namen... aber warum nur... ich war doch dort..." wieder klang ein hauch der Verzweiflung auf, sich nicht erinnern zu können, obwohl sie sich sehr genau bewußt war, dass es Ti'larasu wesentlich schlimmer erging. "Wir müssen uns erinnern können... es ist die Aufgabe der Legendenweber, das Wissen zu bewahren..."
Ti'larasu setzte sich wieder aufrecht hin und faltete mit einem mitfühlenden Lächeln die Hände in ihrem Schoß. "Sicher fehlt dir vieles an Erinnerung, aber die alte Seele ist erhalten geblieben und es nur eine Frage der Zeit, bis du dich wieder an alles erinnern kannst. Mit jedem Besuch in Weltenwacht wird es deutlich schneller voran gehen." Ein leises Seufzen kam von ihr. "Ich dagegen habe meine Erinnerungen verloren, sie in Teilen im Chaos gelassen und muss um jeden Fetzen kämpfen. Trotzdem warte auch ich geduldig. Doch besonders seid ihr Legendenweber es, die mir Mut machen. Die erste Welt wurde zerstört und ich dachte, damit wäre auch all ihr Wissen und ihre Geschöpfe und Geheimnisse verloren gegangen. Aber wie du selbst weißt, scheinen Teile aus dieser Welt wieder aufzutauchen. Ich frage mich nur warum...?"
Sirgal schluckte schwer, riß sich zusammen und meinte: "Es kommt mir vor, als gäbe es einen Riß in der Zeit, so dass alte Dinge in diese Zeit wechseln können. Inat laronn... der Kupferne hat das Chronofaktum des Grauen und so über die vom großen Ritualkreis abgelenkte Energie den Sprung in die alte Zeit machen können. Er wollte dort die Vergangenheit verändern, um jetzt und hier eine bessere Position zu bekommen. Ich fürchte, es ist ihm, wenn auch nicht in dem Umfang, wie er es vorhatte, gelungen." Sirgal sah auf und Ti'larasu an. "Dargass, der Legendenjäger, Inat laronn, der sich Alastors bemächtigte, die Schwurklinge und vieles mehr haben in unserer zeit hier nichts zu suchen. Ich fürchte, der Kupferne hat etwas geschaffen, dessen Auswirkungen er nicht kontrollieren kann."
Einen Augenblick lang schwieg sie und schaute Sirgal und Tha'Risha an. "Es liegt an uns allen, das Schlimmste zu verhindern, aber auch das Beste daraus zu machen. Ich weiß nicht, in wie weit sich die anderen Drachen der Ausmaße bewusst sind, die diese Verbindung zwischen den beiden Welten zu folge haben können." Kurz schien die Sendbotin nocheinmal zu überlegen. "Meines Wissens nach wurde die Schwurklinge in die zweite Welt beschworen. Es war also gewollt, dass sie in die zweite Welt kommt. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn man zu viel in die erste Welt bringen würde, was nicht dort hin gehört..."
Um die Gefahr und die Bedeutung wissend, nickte Sirgal. "Ich kann aber nichts dazu sagen", meinte sie leise. "ER hat mich so von sich gestoßen, und mir bedeutet, dass er so etwas nicht hören will - schon gar nicht von einer Sterblichen, wie mir..." Es war das erste mal, das Sirgal von dieser harten Zurückweisung durch den Grauen sprach. Sie hatte es niemandem gesagt. Der Schmerz saß tief.
Ti'Larasu erhob sich von ihrem Platz, um sich neben Sirgal zu setzen und ihre Hände in die ihrigen zu schließen. "Ich weiß nicht warum der Graue so etwas sagt und ich möchte nicht mutmaßen, warum... Aber er sollte wissen, dass alte Fehler sich zu wiederholen drohen. Grade darum sollte er auf seine Leute hören. Die, die sich entschieden haben seinem Ruf zu folgen." Sie blickte Sirgal bei diesen Worten direkt in die Augen. "Wenn ich dir irgendwie helfen kann, und sei es nur dir Gehör zu schenken, so bin ich gerne für dich und auch alle anderen da." Ein feinses, beinahe schon hämisches Grinsen schlich sich in ihre Züge. "Und wenn ich dem Grauen verbal ein wenig vor sein Schienenbein treten soll, so werde ich dieses mit größtem Vergnügen tun! Ich habe da noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen..."
Langsam wandte Sirgal den Kopf und sah Ti'larasu jetzt doch etwas besorgt an. Schon wieder geriet sie zwischen die Drachen... Erst war es der Graue, als sie selbst am Verzweifeln war, vom Chaos besudelt. ER half ihr. Dann war er selbst ganz irr von dem Buch. Was Sirgal ihm gesaht hatte, waren Worte der Treue und der Nähe gewesen... dem Grauen wohl zu nah. Aber sie war am Abend zuvor dagewesen, als der Rote seine Partnerin wiederfand... und in der alten Welt war ER, der Graue, ihr auch so fern gewesen, hatte sie zurückgewiesen... Da war ein Bruch, ein Schmerz. Und jetzt kam dieses Wesen und bot Hilfe an? Was geschah hier?
Sie hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch nun meldete sie sich zu Wort. "Es gibt eine Sache, die ich nicht ganz begreife, und vielleicht bin ich etwas begriffsstutzig oder habe nur seltsame Gedankengänge. Aber wenn der Kupferne damals wirklich vernichtet wurde, wieso blieb dann der Aspekt des Herrschaftswillen so massiv erhalten? Oder wurde nur die ... nennen wir es Hülle vernichtet und der Aspekt des Kupfernen aufgeteilt unter den anderen Drachen? Irgendwer sagt mir in diesem Jahr, dass sich sobald ein Aspekt in der Drachenwelt manifestiert, sich ein Drache ... tja, entwickelt. Als Beispiel nannte er den Untoten Drachen und als Aspekt eben den Untod, der sich - auch schon in der ersten Welt - als Rote Schule manifestierte. Oder die Stählerne. Sie wurde auch vernichtet und ihr Aspekt wurde vom Silbernen aufgenommen. War es so dann auch beim Kupfernen?"
Nach einem Augenblick wandt sie den Blick von Sirgal wieder ab und ließ ihre Hände auch wieder los, doch blieb sie dort neben ihr sitzen. Ihre Worte wand sie nun an Tha'Risha. "Der Kupferne wurde nie vernichtet. Er wurde lediglich von den anderen Drachen aus dem Kreis gestoßen, so zu sagen verbannt. Er war also auch nicht vom Schleier des Vergessens betroffen, den der Graue vor langer Zeit über sich und die anderen Drachen legte." Eine fragende Miene legte sich in ihr Gesicht. "Aber wen oder was meint ihr mit dem untoten Drachen? Von dem habe ich noch nie gehört. Ich kenne die rote Schule, aber sie ist ein Teil des Roten und des Schwarzen. Was die Stählerne angeht... Drachen können getötet werden..." Sie zuckte leicht zusammen, riefen ihre eigenen Worte ihr doch bitter in Erinnerung, dass sie selbst dazu in der Lage wäre, dies zu tun. Ti'Larasu schloss die Augen und schauderte.
Zeitgleich mit Ti'larasu hatte Sirgal sagen wollen, dass der Kupferne nie getötet oder zerstört wurde... Diesmal war sie es, die der Sendbotin die Hand auf deren Finger legte, als sie schauderte. "Der Kupferne wurde in die Schleier der zeit verbannt, wo er wartete, bis seine zeit wieder kam. Ich weiß nicht, wie oft er schon verborgen lauerte..."
Ihr Hände zitterten, wenn auch nur leicht. "Der Kupferne lauert schon lange. Eigentlich schon seit der Zeit, da er zum Tyrann wurde. Er hatte also sehr lange Zeit Pläne und Ränke zu schmieden." Ein leises Schnauben kam von ihr. "Man kann ihn aber auch nicht einfach töten. Er gehört seit je her in den Kreis der Drachen. Ihn zu töten würde das Gleichgewicht zerstören, was fatal wäre!"
Unbewußt strich Sirgals Daumen über Ti'Larasus Hand. "Ich habe immer wieder den Eindruck, dass er mehr als einmal in die Zeit verbannt wurde... Irgendwie passen meine Erinnerungen und das, was ich erlebte nciht recht zusammen. Es ergibt keinen Sinn..."
Ein müdes Lächeln, kam über ihre Lippen. "Es mag sein, dass dir noch zu viel fehlt, als dass es Sinn ergeben kann. Ich erinnere mich auch an Dinge, die keinen Sinner ergeben. Aber irgendwann, wenn ich mich an mehr erinnern kann, dann setzen sich diese Teile wie ein Puzzel zusammen. Ich weiß noch, wie ich in die zweite Welt kam... Es kam mir alles so vertraut und auf der anderen Seite doch fremd vor. Ich fühle mich in dieser Welt beinahe schon zu Hause, auch wenn eine Erinnerung mir sagt, dass ich das nicht bin."
"Nach allem, was ich weiß, was meine Schwester Legendenweberin Cuirina sang, und dem, was ich in Weltenwacht erlebte, muß der Kupferne mehr als einmal gebannt worden sein."
Bei dem Namen Cuirina hellt ihr Lächeln deutlich auf. "Die gute Cuirina hatte mir mit ihrem Gesange geholfen mich an etwas zu erinnern. Es war war zwar eine bittere Erinnerung, aber ihr Besuch und das Lied waren sehr sehr schön." Verträumt starrt sie vor sich in die Luft. "Ich weiß nicht, wie oft die anderen Drachen sich gegen den Kupfernen aufgelehnt haben. Langsam tauchen aus der alten Zeit wieder Informationen darüber auf. Was mich an diese Drachenstatue erinnert, die dieses Jahr am Ritualkreis stand. Hat einer von euch eine Ahnung, was es damit auf sich hat?"