Sofort ging Sirgal das Lied durch den Kopf, dass sie mit ihrer Schwester an einem stillen Abend gemeinsam gesungen hatte... Aber sie schwieg und sah den Mann ihr gegenüber nur an.
Hrothgar überlegte. Sirgal war die Schreiberin des Grauen Drachen, dem sie, wie sie vorhin bewiesen hatte, absolut treu ergeben. Konnte sie ihm vielleicht bei seinem Problem helfen?
Er sah Sirgal gerade heraus an. "Mylady Sirgal, ich habe eine Frage, und ich hoffe, ihr könnt mir mit eurer Weisheit weiterhelfen."
Sie hob die Brauen und senkte den Kopf, so dass sie ihn ein wenig von unten herauf ansah. "Fragt - nur dann kann ich wissen, ob ich Euch helfen kann." Der Mann konnte kaum wissen, wem er da gegenübersaß.
Hrothgar nahm den Krug Bier, und trank den Rest mit einem Zug aus. Dann begann er: "Wie er wisst, bin ich ein Eidmann des Herrn Berkenbrecht. Das heißt, ich habe ihm freiwillig einen Eid geleistet, da ich auch ein freier Mann der Vinlande bin."
Hrothgar überlegte kurz. "Mein Herr folgt dem Weg des Roten, also den Weg des ehrenhaften Kampfes" ein kurzes fast schon unverschämtes Grinsen schoss über Hrothgars Gesicht "aber ich folge dem Blauen, dem Herrn der Freiheit."
"Ich habe mich dieses Jahr dazu entschlossen, dem nächsten Drachenfest bei zu wohnen. Aber ich will mich dem Lager des Blauen anschliessen, um ihm zu dienen während dieser Zeit. Nur ... wie kann ich das mit dem Eid gegenüber Herrn Berkenbrecht vereinbaren?"
Sirgal lehnte sich zurück und trank etwas von dem Tee. "Nun", meinte sie dann, "Es gibt mehrere Wege, die unser Leben bestimmen. Auch wenn ihr einem 'roten' Herrn dient, so ist es doch nicht Euer Weg. Auch Cuirina folgt dem Blauen, doch ihr Gatte ist der Rote Drache selbst!"
Der Krug, den Hrothgar immer noch in der Hand hielt, zerschellte auf dem Steinfußboden des Gasthauses. Hrothgar meinte, sich verhört zu haben. "Bei den zerfetzten Segeln von Brann Blutbarts Schiff!!!" dröhnte seine Stimme durch die Gaststube. "Sagt das nochmal!!"
Als der Krug auf dem Boden zerschellte, hatte der Wirt hochgeschaut und eilte nun herbei, um die Scherben einzusammeln. Hrothgar murmelte leise eine Entschuldigung, immer noch fassungslos. "Herr Wirt, bringt mir noch einen Krug von eurem guten Bier, aber dieses Mal einen größeren, und dann noch einen starken Schnaps, den brauche ich jetzt." Dann langte er wieder zu dem Beutelchen, nahm dieses Mal einen roten Stein aus der Sammlung, und reichte sie dem Wirt. Dieser nahm den Stein fassungslos an, und rannte hinter seine Theke, um das gewünschte zu holen.
"Ich fasse es nicht " Hrothgar schüttelte seinen Kopf. "Mylady Sirgal, ihr habt etwas geschafft, was seit bald 20 Wintern niemand mehr geschafft hat. Ihr habt mich aus der Fassung gebracht."
"aber wie ... wie ist es möglich, das sich einer der unsterblichen Drachen sich in eine sterbliche Frau verlieben kann?"
"Einst hörte ein Drache den Gesang und das Spiel einer roten Harfe, deren Saiten von einer Sterblichen erklangen. Er lauschte und seine harte Seele wurde weich. Er ging dem Spiel nach und fand eine Frau, die ihn betörte. Er wusste, dass es unter seinem Stand war und dass er sie tausende male würde sterben sehen - doch es war eine Liebe in ihm erwacht, die ihn so tief getroffen und berührt hatte, dass die Sehnsucht stärker war. Als in den unendlich langen Jahren seines Lebens sie immer wieder dem Tod folgen musste, und später oft von dem Legendenjäger ermordet wurde, nahm er jedesmal die rote Harfe an sich. Er gab sie ihr zurück, wenn er ihre Seele wieder fand..." erzählte Sirgal sanft. Ganz leise und eher für sich fügte sie hinzu: "Ich habe damals wohl sehr lange an dieser Harfe gearbeitet."
Der Wirt war, während Sirgal sprach, heran getreten, und hatte das gewünschte auf den Tisch gestellt. Als Sirgal davon sprach, das sie selber die Harfe gebaut hatte, die die Seele des Roten berührt hatte, langte Hrothgar wortlos zu dem kleinen Krug mit Schnaps, kippte diesen herunter, und trank den Humpen Bier mit einem Zug leer. Dann schaute er den Wirt an, und meinte nur "das gleiche nochmal, und mehr Schnaps."
Mit einer gewissen Ehrfrucht sah Hrothgar Sirgal an. Sie hatte die Harfe gebaut? "Mylady Sirgal, ich habe euch unterschätzt, und zwar sehr."
Hrothgar sah Sirgal lange an. Dann zuckte er mit den Schultern: "Unterschätzt, weil ich dachte, ich säße hier mit einer normalen Sterblichen zusammen wie ich es bin. Aber Log für Log kommt heraus, das ihr mehr seid, viel mehr als das."
Hrothgar schüttelte den Kopf. "Das war wie damals vor 20 Wintern .... "
"Ich bin Botin, Herr Hrothgar. Schreiberin und Kartografin. Was einst gewesen sein mag, ist nicht hier und Jetzt und nicht dieses Leben. Jetzt und hier bin ich Sirgal. Mehr nicht."
Hrothgar lächelte "Lasst den Herrn weg, ich trage nicht wie mein Herrn einen Titel, und ich habe nur Land in den Vinlanden."
"Aber wenn ihr Kartographin seid, ich bin immer an guten Karten interessiert, schliesslich helfen sie einem, sich gute ... " Hrothgar verschluckte den Begriff Viking und sagte: "Fanggründe zu merken."