"Es sind viele Dinge, die zusammenkommen. Und wenn wir die Vergangenheit verändern, trifft uns die Veränderung hier und jetzt zumeist mit unerwarteter Kraft. Erst recht, wenn es eine Seherin ist." sagte Sirgal. "Es ist kein Kupferner Gefolgsmann. Inat Laronn ist das Kind von Lauriel und dem Roten selbst."
Eine Weile herrschte nichts als Schweigen und nur die Fingerspitzen Lindhelens strichen unruhig über das Holz. "Antwortet er ihr deswegen nicht mehr?" Sie schüttelte den Kopf.
"Alles, was diese Tage brachten ist von seltsamer Macht durchflutet - ist das die Zeit die zornig wurde über das, was man ihr antat? Ich weiss es nicht..."
"Oh, ja. Mae ist ja auch so unschuldig!" knurrte Tha'Risha und ihre Stimme wurde dunkler. "Sie stellte ihre persönlichen Gefühle über das Wohl einer ganzen Welt! Und nein, Inat Laronn ist kein armer, verstoßener Junge, und Schuldgefühle ihm gegenüber sind völlig unangebracht."
Lindhelen hob das Gesicht und runzelte die Stirn. Es würde nicht schwer zu erraten sein, dass sie mit dem gerade gesagten überhaupt nichts anfangen konnte.
Sirgal versuchte zu erklären: "Inat wird gern als das hilflose Opfer im Machtspiel der Drachen hingestellt. Das ist er aber keineswegs. Mae sah nur den Sohn, nicht aber den grausamen Kriegsherrn, der über tausende Leichen geht - und sogar die Leichen noch erhebt, um sie gegen die erste Welt zu führen. Sie sah nur den, der von seine Truppen angehimmelt wurde, dem man zujubelte, der sie wie Kinder lobte und jedem seine Streicheleinheit zukommen ließ, weil er ja brav an seinem Platz war. In dem Momant, wo sie ihn als den verlorenen, tot geglaubten Sohn erkannte, fiel ihre Entscheidung - und ich kann das Lachen des schicksals gradezu hören. Der Rote schwieg. Ja. Vielleicht hatte auch er vergessen, was geschehen war..."
Lindhelen fröstelte leicht, sichtbar an ihren Armen auf denen sich die feinen Häärchen erhoben. "Eure Worte sprechen nicht nur von Geschichte sondern auch von Kälte" Wieder senkte sich ihr Blick. "In des Schicksals Wirken können wir niemals alles verstehen und niemals alles Gut heissen. Manchmal entscheiden Gefühle, manchmal die Vernunft, manchmal entscheiden andere über uns" Sie schloss die Augen. "Blut ist dicker als Wasser. Ich fürchte nun nur umso mehr um das, was geschieht, verlor sie doch schon ein Kind."
Dann begann sie plötzlich auf ihrer Unterlippe herumzukauen, sichtbar, dass sie wohl noch mehr sagen wollte, es aber zurückhielt, sichbar, dass sie sich schwer an diesem Wissen trug und es von sich stoßen wollte - doch sie schwieg und schüttelte den Kopf.
Erst nach einer Weile sprach sie umso leiser weiter "Ich verstehe euren Zorn und eure Sorge.. aber ich verstehe auch sie. Ich verstehe und bete niemals Dinge wie dies entscheiden zu müssen. Nichts ist ihrem Herzen näher als es ein Kind sein kann - das spüre ich, wenn sie über diese oder ähnliche Dinge singt. Doch wenn ihr euer Urteil gefällt habt werde ich es nicht anzweifeln oder gar bewerten, das steht mir nicht zu."
In einem plötzlichen Wutausbruch wischte Sirgal ein Glas vom Tisch, dass auf dem Boden aufschlug und wegrollte. "Als ob sie die Einzige wäre, die ein Kind verlor..." Wut und Verzweiflung lagen in ihren Worten.
Lindhelen zuckte heftig zusammen, da sie das Geräusch weder zuordnen noch dessen Quelle sehen konnte.
Eine Weile lang bebten ihre Lippen ehe sie tatsächlich ein Wort daraus hervorbrachte
"Zwei... "
Dann wurde sie sich der Bedeutung der Worte bewusst und fügte leise hinzu
"Wenn es aber doch auch ein Schmerz ist, den ihr teilt.. so versteht auch ein Teil von euch, dass sie nicht anders handeln kann.. gleich, ob ihr dies konntet oder nicht.."
Es waren nichts als Ahnungen, haltlos, sinnlos vielleicht - das Gefühl, das sie hier ergriff.. vielleicht lag sie falsch.. vielleicht würde man sie auslachen oder hinauswerfen.. aber machte das wirklich einen Unterschied?
Tha'Risha schwieg. Sie selbst hatte eine Tochter und zwei Fehlgeburten durchlebt, die letzte hatte einem erneuten Kinderwunsch ein Ende gesetzt. Sicher konnte sie jede Frau in dieser Situation nachfühlen. 'OH Hexe, wie traurig - Klappe - haha - Schnauze....,' riefen ihre Gedanken. Die Energien in ihr kamen in Bewegung, wie so oft war da wieder diese Gratwanderung, in der das Chaos versuchte, die Vernunft zu übertönen.
Sarkasmus troff aus Sirgals Worten, als sie wild und verzweifelt sagte: "Oh ich hatte es leicht. Er hat mit drei Jahren schon das zweite mal versucht, mich zu töten..." doch das Beben von Tränen lag in ihrer Stimme. Ja, sie konnte Mae verstehen - mehr als gut. Und doch hatte sie schon so viele schwerwiegende Entscheidungen Treffen müssen, dass sie gelernt hatte, mit dem Dolch im Herzen zu leben. Vielleicht würde sie ihn einst wiedersehen - jenen schwarzhäutigen Jungen mit dem hellbraunen Haar. Wenn er gelernt hatte, seine Energien zu kontrollieren und nicht mehr instinktiv auf die Magie des Landes zugriff, und das trotz blockierter eigener Magie. Wenn sie dann noch lebte.
Die junge Frau senkte den Blick nun wieder und schüttelte kaum merklich den Kopf. Die Stimme wurde immer leiser und die Gestalt schien sich sehr in sich zurückzuziehen während sie sprach.
"Ich kann euch euren Schmerz nicht nehmen, so wenig wie sie.. oder ihr den ihren.. oder.. .. " sie seufzte.
Egal was sie nun sagen würde, es wäre falsch und so schwieg sie und barg, was sie wusste und was so sehr in ihr brannte, in ihrem Herzen.
"Es ist Teil von uns allen. Verlust gehört zum Leben auf eine ganz kranke Art und Weise, genauso wie der Tod, wie Schmerz aber auch Freude und Liebe. Das ganze Spektrum der Emotionen, das ganze Spektrum des Seins," sagte Tha'Risha dunkel und ruhig. "Manche Gefühle schmettern uns zu Boden, andere erheben uns zu größtem Glück. Doch sich von ihnen abhängig machen, nur dem nachzugeben, was man fühlt... das führt zu solchen Fehlern. Mae hat sich entschieden. Damit muss sie und wir leben. Aber ich hoffe, Cuirina wird den Fehler nicht machen und blind ihren Gefühlen vertrauen sondern versuchen, zu sehen."
Eine Weile geschah gar nichts. Dann regte ein sachtes Kopfschütteln die Person an der Harfe und ein kaum wahrnehmbares Seufzen entrang sich ihrer Kehle.
"Ich fürchte, eure Karten stehen nicht gut.. nicht.. mehr"
"Ele? Ich mein : Warum? Cuirina hat ein Kind verloren, wie ihr sagtet, doch deswegen sich an dem anderen Kind, aus einer anderen Zeit festklammern?" Tha'Risha seufzte.
Sie schüttelte erneut den Kopf und noch leiser wurde ihre Stimme. Man hätte meinen können, sie wünschte sich fort, unsicher die Haltung und müde die leeren Augen. "So einfach ist es nicht.. Es ist die Seele ihres Kindes.. des einen wie des anderen.. beide liegen in ihrem Herzen, gleich aus welcher Zeit oder Welt. Die eine vergangen.. und doch so nah und die andere.. "
Erneut verfiel sie in dunkles Schweigen, Schatten lag in ihren Zügen und wenn sie gekonnt hätte hätte sie sich wohl am liebsten in Wind oder Regen verwandelt, der dem Weg der Stürme folgt, ohne sich über die Schicksale der Sterblichen Gedanken machen zu müssen.