Die Heilerin nickte nach einer neuerlichen Überprüfung des Schlafenden zufrieden und bedeutete Fox mit einer Geste, dass sie vor der Tür auf sie warten würde.
Fox schlich sich aus dem Bett und kam dann zu Lucy. Sie fror, weil inzwischen übermüdet, aber die Frage ließ sie keine Ruhe finden. "Bitte - wie konnte das passieren? Was ist da los gewesen? Es ging ihm doch schon relativ gut!" Fox wollte verstehen, was vor sich ging. Sie hatte wirklich angst um Pip.
"Ich kann es nur vermuten.", antwortet Lucy ehrlich, "Ich schätze, er hat sich schlichtweg überanstrengt und das über einen zu langen Zeitraum- wobei zwei Tage in dem Fall schon eine ganze Menge ausmachen können. Der menschliche Körper ist schon ein rechtes Wunderwerk, er kann eine ganze Menge aushalten und ertragen, wenn es sein muss, doch irgendwann kommt der Punkt, an dem auch der stärkste Organismus die Flügel streckt, verstehen Sie?"
Fragend sah Fox Lucy an. "War... also... mir selbst ist ... ich war doch... auch..." stockend konnte sie es kaum in Worte fassen. "Warum geht es mir so gut?" brach es schließlich aus ihr heraus.
"Weil Sie verdammtes Glück gehabt haben- wenn Ihr Schädel mehr als nur ein paar Risse davongetragen hätte, wäre mit ziemlicher Sichereheit Ihr Gehirn arg verletzt worden und das ist selbst für mich irreparabel.", erklärt sie, "Auch dass wir die Infektion rechtzeitig aufhalten konnten, spielte eine grosse Rolle. Jetzt wo das entzündete Gewebe weg ist, kann Ihr Körper endlich vernünftig mit der Heilung beginnen. Sie haben gewaltige Reserven, Ltd. Carter. Ltd. Jenkins hingegen ist jetzt seit knapp vier Wochen hier- erst vor ein paar Tagen konnte ich die Drähte wieder herausnehmen, die seine zertrümmerten Rippen in Position gehalten haben, damit die gescheit wieder zusammenwachsen konnten. Auch jetzt besteht noch ein gewisses Restrisiko- wenn er in den nächsten zwei Wochen einen allzu harten Schlag in den Brustkorb bekommt, dann war's das." Wilcox hatte das zwar nicht sehr schonend verpackt, war dafür jedoch ehrlich.
Fox wurde spontan schlecht. Sie ließ sich gegen die Wand sinken und rutschte dann daran herunter, bis sie auf ihren Fersen saß. "Ich will ihn nicht verlieren!" sagte sie verzweifelt - und es sprach ein ganz anderes Wissen aus ihren Worten, dass nicht nur etwas mit seinem Tod zu tun hatte.
Lucy ging vor ihr auf ein Knie runter, als Fox an der Wand hinabsank. Die Heilerin lächelt versöhnlich. "Das würde ich an Ihrer Stelle auch nicht wollen.", entgegnet sie, wobei sie eine Hand auf Fox heile Schulter gelegt hatte, "In meinem Job kann ich den Kampf nicht immer gewinnen, wissen Sie Carter? Trotzdem gebe ich mir alle Mühe und mache auch dann weiter, wenn ein anderer längst aufgegeben hätte. Wenn ich dann in einer scheinbar ausweglosen Situation sehe, wie dieser Mensch vor mir auf dem Tisch kämpft, dann gibt mir genau das die Kraft, die ich brauche, um täglich weiterzumachen." Lucy wusste nicht, was Fox gerade noch durch den Kopf ging, woher auch? Höchstens Carter's Versetzung, aber von Pip's Versetzung nach Caspia ahnte die Heilerin nichts...
Fox' graue Augen wurden noch viel dunkler, als sie Lucy ansieht, und ein feuchtes Schimmern liegt darinnen. "Ich werde ihn verlieren, wenn ich dieses haus verlasse..." sagte sie mit gebrochener Stimme.
Lucy tat etwas, was sonst wohl kaum ein Heilkundiger in irgendeinem Lazarett getan hätte- sie setzt sich neben Carter auf den Boden mit dem Rücken an die Wand gelehnt. "Wie kommen Sie zu der Auffassung?", fragt sie mit erstaunlich sanfter Stimme.
"Sie wissen doch, dass Tood da war. Von wegen Luftveränderung... Es gibt nur einen Ort, der zu all den Gerüchten passt, die umherschwirren. Und der liegt nicht in dieser Welt. Meine Strafversetzung wird uns Trennen - und wenn ich in Arrest gehe, werden sie kaum einen gefragten Langschützen hinterherschicken." Die letzten Worte sagte sie fast erstickt.
"Hm...", macht Lucy und weicht Fox' Blick dabei nicht etwa aus, "Sie könnten Recht haben, Ltd. Carter. Doch auf der anderen Seite geschehen oft Dinge, die man vor ihrem Eintreten niemals für möglich gehalten hätte. Wenn Sie wüssten, was ich hier und anderswo schon gesehen habe, dann wüssten, Sie was ich meine..."
Im Moment war sie nur verzweifelt und müde. Fox stützte den freien Arm auf den angezogenen Knien ab und stützte den Kopf in die hand. "Wie soll das werden..."
"Glauben Sie mir, das habe ich mich in der Vergangenheit auch schon oft gefragt.", entgegnet sie, "Zuletzt als mir das Bein vor 8 Jahren weggerissen wurde."
"Wenn es um mich ginge. Das wäre egal. Ich komme schon klar. Es ist völlig uninteressant, wie ich aussehe. Gut, dass ich auf dem einen Auge nur umrisse sehe, ist Mist, aber... egal. Doch er? Einmal glücklich sein. Und nicht mal das ist mir gegönnt..."
Lucy wird hellhörig. "Moment mal- nur Umrisse? Welches Auge?", fragt sie sogleich und kniete wieder vor Fox, als praktisch automatisch die Heilkundige wieder durchkam, "Warum erzählen Sie mir das erst jetzt?"