Bei den Worten Tha'Rishas über die Untoten hatte sich zwischen Ry'Kahs Brauen eine steile Falte gebildet. Allem Anschein nach waren die Schwestern hier nicht ganz einer Meinung...
"Barr'Estan, vergiß nicht, dass wir beide - sowohl Tha'Risha als auch ich - Mütter von sehr kleinen Kindern sind. Auf eine so lange und beschwerliche Reise können wir unsere Töchter wohl kaum mitnehmen. Sie hierzulassen über einen so langen Zeitraum, und allein, halte ich ebenfalls für keine gute Idee. Auch wenn es mich reizt, nach Bjelawa zu gehen. Dieser Bojar, der dort war, hat einige große Talente... Außerdem schuldet das Land mir noch etwas!"
Alissa kam mit langen Schritten auf das Haus der Schatten zu. Sie verlangsamte ihren Schritt, als sie Barr'Estans Eskorte sah und auch die Wächter von Gullminne vor der Haustüre.
Sie atmete einmal auf und ging trotz des Unwohlseins aufrechten Ganges zur Haustür.
Sie erkannte Wazag, zog sich diesmal jedoch nicht zurück, sondern sagte: "Lasst mich bitte durch, ich werde dringend erwartet."
Sie blickte überrascht, als sie fragte. 'Als ob das nicht offensichtlich ist', dachte sie sich nur. "Der Herr des Hauses natürlich - Schattenklinge." Sie musterte Wazag kurz. "Ich bin die Herrin dieses Hauses", fügte sie, etwas stolz hinzu.
Was draußen an der Tür folgte, war ein seltenes Schauspiel - Wazag bog sich vor Lachen und stammelte: "Du... du bist... Herrin dieses Hauses?" sie prustete und schnappte nach Luft - lauthals lachend.
Als man Ry'Kah den Met brachte, prüfte sie diesen erneut - und genoß ihn in kleinen Schlucken.
Barr'Estan hatte zunächst nichts gesagt. Nach reiflicher Überlegungszeit sagte er jedoch: "Ich denke es gibt da einen wesentlichen Punkt, den du nich beachtet hast, Tha'Risha: Vampire mögen auf das Blut angewiesen sein, aber was sie von Tieren unterscheidet ist der Spaß am Töten. Es ist die Bösartigkeit, die sie von Tieren unterscheidet und das macht sie ausrottenswert." An Ry'Kah gewand sagte er: "Ich verstehe es natürlich, dass du deine Tochter nicht allein lassen willst. Solltest du dennoch einen Weg sehen, würde ich mich freuen. Wenn nicht, akzeptiere ich eure Entscheidung selbstverständlich."
Alissas Miene verdunkelte sich. Wenn Blicke töten könnten, wäre Wazag auf der Stelle tot umgefallen. Alissa hob die Stimme und befahl: "Diener, öffne die Tür!"
Drinnen setzte sich sofort einer der Diener in Gang und die Haustür wurde geöffnet. Der rechte Mundwinkel hob sich, als alles passierte, wie sie es wollte. "Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich werde erwartet", sagte sie förmlich. Mit den Worten hob sie die Röcke, stieg die paar Stufen hinauf und ging an Wazag vorbei ins Haus.
"Ich habe nie etwas anderes behauptet in bezug auf Vampire, Barr'Estan." Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. "Und der Spaß am Töten ist eine Eigenschaft, die auch unserem Volk nachgesagt wird." Sie zwinkerte, was unterstrich, dass sie ihn ein wenig necken wollte.
Barr'Estan war verwirrt. "Soeben hast du Vampire noch mit Tieren gleichgesetzt - mit der Begründung, dass sie wegen ihres Hungers jagen." Der Offizier war nicht zum Scherzen aufgelegt, denn Vampire waren für ihn ein Thema, wobei er sämtlichen Humor vergaß - Erzfeinde eben.
"Ja, Tiere. Aber deswegen halte ich sie nicht für schützenswert, im Gegenteil. Was die Bekämpfung von Vampiren betrifft, so stimme ich mit dir überein." Tha'Risha versuchte sich an einer Erklärung. "Ich wollte lediglich sagen, dass 'Bösartigkeit' ein Kriterium ist, was recht relativ zu sehen ist. In bezug auf Vampire gibt es für mich - wie für dich keine Diskussion. Aber nehmen wie die Druchii. Diese Gattung der Elfen hat eine ausgeprägte Affinität zu Blut und sie töten aus dem Spaß heraus, aus reinem Vergnügen. Es gibt Völker, die würden sie auf eine Stufe mit Vampiren stellen. Oder auch unser Volk Barr'Estan. Mehr wollte ich nicht zum Ausdruck bringen."
Barr'Estan nickte. "Dann habe ich dich falsch verstanden. Über die Druchii weiß ich nicht allzu viel und begegnet bin ich außer Wolfgar auch noch keinem. Daher kann ich mir kein Urteil erlauben." Er trank wieder einen Schluck aus dem Weinglas. "Was die Vorurteile gegen unser Volk betrifft...Wir erfahren ja auch genügend Abneigung und Hass."
"Ja, Barr'Estan. Da sprichst du wahr. Und es wird Zeit, da etwas gegen zu tun!" Es blitzte für einen Moment in Tha'Rishas Augen. "Es sind nur ein paar Wochen her, als ich auf der Insel Merseberg erleben musste, wie man eine unseres Volkes verhaftete, aburteilte und abschlachtete. All das binnen dreißig Minuten. Nun, die Obrigkeit dieser Provinz hat dafür gezahlt. Das Drow-Haus, welches dort in Merseberg lebt, hat mir einen Gefallen erwiesen. Die Köpfe des Barons, des Mörders und seiner Gattin zieren nun den Marktplatz in Gullminne." Unbewusst ballte sie die Faust. "Doch das ist erst der Anfang. Merseberg wird brennen..." Sie stockte. Wollte sie doch nicht noch mehr verraten, nicht in der Gesellschaft Wolfgars.
Barr'Estan schwieg und sah Tha'Risha eine Weile an. "Ein Drow-Haus hat dir einen Gefallen getan? Wie kam es denn dazu? Ich meine es ist natürlich erfreulich zu hören, dass diese oberflächlichen Merseberger die Quittung dafür bekommen haben. Aber woher die Hilfsbereitschaft eines Drow-Hauses?"
"Diplomatie...so so. Uns sind andere Drow-Häuser bisher nur feindlich begegnet. Diplomatie war gar nicht möglich." Barr'Estan machte eine Pause, in der er nachdenklich in sein Weinglas starrte. "Ich hoffe nur für Bjelawa, dass es bald einen neuen Reichskanzler hat. Der jetzige wollte doch glatt die Scaven einladen, um mit ihnen zu frühstücken. Dieser senile Schwachkopf versteht kein Wort, das mit Bedrohung, Krieg und Feind zu tun hat."